Ich bin dann mal alt
Geist: die Brücke der Generationen
Die Arbeit muss man teilen, das Leben muss man teilen – auch die Freude und das Leid, sonst geht man unter, wird mieselsüchtig und verzagt.
Lindenwirtin Josefine Wagner
Was kann ein alter Mensch der nachrückenden Generation – außer einer Erbschaft – noch geben? Auf jeden Fall sein Erfahrungswissen, das sich in einem langen Leben angesammelt hat. Dazu gehören vor allem Lösungsvorschläge bei Konflikten und Krisen oder auch Hinweise zur Bewältigung des alltäglichen Lebens. Da geht es nicht um ein paar Allgemeinrezepte, die man auch in allen möglichen Ratgeber-Büchern nachlesen könnte, sondern um Erfahrungen aus dem eigenen Leben, um Kämpfe und Ermutigungen. Es sind nicht nur schöne und erbauliche Erinnerungen, die hochkommen, sondern auch Unerfreuliches, Trauriges – vielleicht sogar Erfahrungen, in denen Leid und Tod auftauchen. Es geht um Haltungen, aus welchem Geist heraus das Leben zu meistern ist. Das Weitergeben eines solchen Geistes bedeutet auch, dass man Generationen übergreifend die Nachfolgenden zu einer Grundhaltung ermutigt, die geprägt ist von Standhaftigkeit, von Nächstenliebe, von Tapferkeit. Diese Tugenden und Beispiele aus einem langen Leben haben auch in der Gegenwart ihren Wert. So können Ereignisse von früher einfließen ins Heute – und jungen Leuten Hinweise zur Lösung ganz aktueller Probleme geben. Solche Erinnerungen sind keine amüsanten Geschichtchen aus längst vergangenen Tagen, sondern ganz konkrete Schilderungen von jemandem, der auf die reichen Erfahrungen eines langen Lebens blicken kann. In ihnen drückt sich die Reife desjenigen aus, der sie erlebt und aus ihnen gelernt
hat. So wird das Weitergeben von Geist eine Ermutigung und Bestärkung für Jüngere, selbst auch Wege zu gehen, die nicht immer nur bequem sind. Freilich soll nicht der Eindruck entstehen, dass man in der Rückschau verklärt nur von hehren Ereignissen oder Heldentaten berichtet, sondern von oft sehr einfachen Erlebnissen, die aus der heutigen Distanz anders gesehen werden als zu dem Zeitpunkt, als sie passiert sind. Vielleicht hat man früher auch nicht immer gleich die richtige Entscheidung getroffen, sondern sich in einer kritischen Situation eher durchgemogelt – auch das gehört zu den Erkenntnissen eines Lebens.
Die Weitergabe von Erfahrungswissen muss getragen sein von dem Respekt und der Ehrfurcht gegenüber den jungen Menschen, denen man die Brücke zur Gegenwart bauen möchte. Sie sollen nicht am Leben verzweifeln, auch wenn Schwierigkeiten und Schattenseiten auftreten. Mit dem Eingestehen eigener Fehler steigt zugleich auch die Glaubwürdigkeit der Erzählungen; denn niemand kann ein fehlerfreies Leben führen.
Die Achtung vor den Jüngeren darf aber auch Kritik nicht ausschließen. Ein alter Mensch braucht sich nicht zu scheuen, unverblümt die Wahrheit zu sagen. Wenn ein Kind oder Enkelkind eine falsche Entscheidung gefällt hat, dann kann der Großvater diesen Fehler offen und unmissverständlich ansprechen – er muss dazu nicht um den heißen Brei herumreden.
Auch für einen selbst sind Reflexionen über das Leben wichtig. Namens- oder Geburtstage und wichtige Gedenktage des Jahreskreises eignen sich besonders gut, um das eigene Leben anzuschauen: Wie es früher gewesen ist, was man verändert hat, was man heute tut oder unterlässt. Den Geist kann nur glaubwürdig weitergeben, wer vorher selbstbewusst über sein eigenes Leben nachgedacht hat!
Mehr Beispiel, weniger Worte
Vorbilder sind überzeugender als tausend Belehrungen. Diese Erfahrung ist besonders wichtig, wenn man der nachfolgenden Generation etwas mit auf den Weg geben möchte. Eine alte Volksweisheit sagt: Worte belehren, Beispiele begeistern! Endloses Reden heißt noch lange nicht, dass dadurch eine echte Kommunikation, ein Austausch oder eine Beziehung zwischen den Menschen entsteht. Viel wirksamer ist das gute Beispiel, das du vorlebst. Denn was du tust und wie du etwas tust, zeigt deine Grundhaltung. Zu viele Worte und lange Diskussionen ermüden dein Gegenüber. Im gegenwärtigen Informationszeitalter haben Worte Inflation, echte Handlungen sind dagegen selten geworden.
Es ist nicht sehr intelligent, ein Gespräch durch die ständige Wiederholung längst bekannter Argumente immer weiter auszudehnen. Langatmiges Ausdiskutieren der allerletzten Details schlägt oft nur die Zeit tot – zum Schluss weiß kaum noch einer, worum es inhaltlich wirklich gegangen ist. Oft
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