Ich bin dann mal offline
-und das immer öfter und immer besser online. Dass von dieser klugen und richtigen Analyse der Arbeitswelt oft nur das klischeehafte Bild der Milchkaffeetrinker übrig blieb, die lange schlafen und dann in Szenecafes in ihre Apple-Notebooks gucken, ist nicht Lobos Schuld -ebenso wenig, dass er seit ein paar Jahren als »Klassensprecher des Web 2.0« oder »Twitter-Guru« herumgereicht wird. Als ich mit ihm spreche, schreibt der umtriebige Tausendsassa gerade seinen ersten Roman fertig. Auch dabei sieht man ihn häufig in seinem Lieblingscafe am Berliner Heimholtzplatz sitzen einerseits ganz Posterboy für die Digitale Boheme, andererseits auch oft bewusst abgekoppelt. »Wenn ich konzentriert arbeiten muss, bin ich relativ hemmungslos«, erzählt er. »Dann schalte ich das Telefon aus und arbeite an meinem Computer mit einem Arbeitsbrowser, der so eingestellt ist, dass ich nicht durch Twitter oder andere Echtzeitplattformen abgelenkt werde.«
Beklemmungen in der Bibliothek
Ebenso wie der New Yorker Professor Clay Shirky (»Es ist keine Revolution, wenn niemand verliert«) hält Lobo das ganze Gerede von »Informationsoverkill« für blanken Unsinn: »Es muss, kann und soll doch niemand alles lesen, was im Internet steht -das ist ein völlig falscher Ansatz! Aber ich habe noch nie von jemandem gehört, der beim Betreten einer Bibliothek Beklemmungen bekommen hat wegen all der Bücher, die er ja auch nie lesen kann.« Auch das Argument, im Internet gebe es nur seichten Schund, da sich jedermann dort ungehindert äußern könne, lässt er nicht gelten: »Das ist in etwa so, als würde ich in eine Bahnhofsbuchhandlung gehen, mir die Stapel mit den immer gleichen Krimis und Single-Romanen ansehen und aus dieser Stichprobe schlussfolgern: Aha, auf Papier wird also nur flaches Klischeezeug gedruckt. Aber genau so verfahren Journalisten oder Politiker, wenn sie glauben, es reicht, fünf Minuten bei Twitter herumzuklicken und dann festzustellen, dass da ja
>sowieso nichts Vernünftiges< steht.«
Dass sich manche Menschen von der Allgegenwart von Internet und Handy überfordert fühlen, kann Sascha Lobo immerhin verstehen: »Ich glaube aber, dass dieses Gefühl, überfordert zu sein, immer sehr subjektiv ist und nicht systemimmanent. Wenn ich es zulasse, kann ich ja auch schon von einern einzigen Wählscheibentelefon gestresst sein, weil es zu oft klingelt. Man stelle sich außerdem vor, dass jemand aus dem 18. Jahrhundert ins Jahr 1990 transferiert würde, als es noch so gut wie keine Handys oder massentaugliches Internet gab. Trotzdem würde diese Person ja all die Lichter, das Fernsehen oder die mehrspurigen Straßen als Bedrohung wahrnehmen und nicht glauben, dass Menschen so leben können. Aber jemand von heute, der an all das gewöhnt ist, kann seine Freundin auch mitten auf dem Times Square verliebt ansehen und all das um sich herum gar nicht als störend oder gar bedrohlich wahrnehmen.«
Auch in dem Verfechter der Digitalisierung und der immer stärkeren Vernetzung schlummert also ein romantisches Herz. Gut zu wissen. Wir unterbrechen das Gespräch kurz, da Lobo einen Anruf bekommt. Es ist jedoch der einzige während unserer Unterhaltung -und auch sonst ist der Mann mit dem knallroten Irokesenschnitt ein angenehm konzentrierter Gesprächspartner und keineswegs jemand, der ständig mit einem Auge auf seine E-Mails schielt oder auf seiner Handy tastatur herumdrückt. Kurz: Der nach eigenen Angaben an der Aufmerksamkeitsstörung ADHS leidende PowerTwitterer hat erheblich bessere Kommunikationsmanieren als manch Internetskeptiker, der den Geruch von Druckerschwärze preist und die angebliche Verblödung der Welt durch Twitter und Co beklagt. Wir unterhalten uns noch eine ganze Weile über Themen wie Netzneutralität 28, Vorratsdatenspeicherung und Internetzensur -Bereiche, in denen Lobo eine viel größere Gefahr sieht als in der angeblichen Informationsflut oder dem Verlust der Privatsphäre.
Und wie verändert das Internet unsere Freundschaften? Im Falle von Lobo wohl nahezu komplett, wenn auch, wie er sagt, nur zum Positiven: »90 Prozent der Leute, mit denen ich mich im echten Leben umgebe, kenne ich aus dem Internet -mit den anderen zehn Prozent bin ich verwandt. Aber das finde ich gut so. Früher haben sich die Menschen per Zufallsgenerator kennengelernt -wer beispielsweise seinen Partner am Arbeitsplatz findet, lässt doch in letzter Konsequenz den Personalchef die 28 Netzneutralität bedeutet, dass die
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