Ich bin dann mal offline
Joints, Frauengeschichten und Spritdollars in San Francisco wieder trennten. Damals tauschte man unter jungen Reisenden mit Geldsorgen und »Lonely Planet«Reiseführer im Rucksack noch handschriftlich Telefonnummern und Adressen, wenn die Wege einen nach einigen Tagen wieder in unterschiedliche Richtungen führten. So auch wir. Doch unter seiner Postanschrift stand noch eine weitere Adresse -mit einem Zeichen, das mir bisher vollkommen fremd war: @.
Die Zeile ergab für mich keinen Sinn. Da standen einige wirre Buchstaben und Zahlen und am Ende etwas von einer Universität. »Das ist eine E-Mail-Adresse«, erklärte mir Tobias. »Damit kann man sich von Computer zu Computer Nachrichten schreiben.« Ich nickte, verstand aber kein Wort. Erst einige Monate später, als ich zurück in Deutschland selbst an eine Uni ging, bekam ich meine eigene E-MailAdresse und ging das erste Mal »in den Cyberspace«, wie man das damals noch aufgeregt nannte.
15 Jahre sind seitdem vergangen. 15 Jahre, von denen Tobias und ich nur wenige Monate in derselben Stadt gewohnt, mindestens sieben Jahre jedoch nicht einmal auf demselben Kontinent gelebt haben. Dass der Kontakt nie wieder ganz abgerissen ist -auch wenn wir beide sicherlich nicht die besten Kontaktpfleger der Welt sind -, ist in diesem Fall vermutlich tatsächlich dem Internet zu verdanken. Allerdings haben wir es auch mit Robin Dunbar gehalten, dem Mann, nach dessen Namen eine Zahl benannt wurde: »Das Internet kann manche Freundschaften etwas länger am Leben erhalten. Aber wenn wir unsere Freunde nicht ab und zu leibhaftig treffen, schläft die Freundschaft irgendwann ein«, sagt der Begründer der 150-Freunde-Theorie. »Frauen sind kommunikativere Wesen, bei ihnen kann eine Freundschaft manchmal auch per Telefon sehr lange bestehen bleiben. Aber Männer müssen sich ab und zu treffen, sich betrinken und ihre Köpfe gegen Bäume schlagen, wenn ihre Freundschaft sich nicht langsam in Luft auflösen soll.«
Tag 38 Der Internet-Irokese
Und schon ist Tobias wieder weg. Wir haben unsere Köpfe zwar nicht gegen Bäume geschlagen, aber meiner fühlt sich heute dennoch ein wenig so an. Kurz bevor ich meine mönchsartige Abgeschiedenheit von der digitalen Welt wieder verlassen werde, habe ich mir vorgenommen, mit einem der wohl am stärksten vernetzten Menschen Deutschlands zu sprechen. Sascha Lobo, Blogger der ersten Stunde, prägte als Autor den Begriff der »Digitalen Boheme«. Über 30000 Menschen haben auf Twitter seine Meldungen abonniert -nur wenige deutsche Nutzer schaffen mehr. 27 Lobo betreibt und befüllt mehrere Blogs, auf seinem privaten finden die Leser nicht nur seine Handynummer, sondern über den Ortungsdienst Google Latitudes auch stets seinen aktuellen Aufenthaltsort in der realen Welt. Kurzum: Sascha Lobo, der es nicht nur durch seinen roten Irokesenschnitt versteht, aufzufallen und sich zu vermarkten, ist das Schreckgespenst aller Internet-Skeptiker.
Doch auch innerhalb der Online-Gemeinde schlägt dem 35-Jährigen immer häufiger Kritik entgegen, seit er nicht nur als (ehrenamtlicher) Berater für die SPD tätig ist, sondern auch in einem Werbespot für den Kommunikationsriesen Vodafone auftrat. Der ehemalige Werber betreibe den Ausverkauf der einst nichtkommerziellen Internetgemeinschaft, so der implizite Vorwurf. Mir soll es viel weniger darum gehen, ob und wie jemand mit seinem Wissen und seiner Leidenschaft fürs Internet Geld verdienen darf, sondern darum, warum er sich für ein so öffentliches und vernetztes Leben entschieden hat. Wie er damit klarkommt, ständig onIine zu sein, und ob ihn die 100 sozialen Netzwerke, in denen er laut eigenen Angaben Mitglied ist, nicht gelegentlich auch stressen. Wer hält sich schon für schuhsüchtig?
27 Darunter kaum Einzelpersonen, sondern vor allem Institutionen wie die »Eilmeldungen« von Spiegel Online oder Marketingfirmen, die ihre FolIower mit umstrittenen Methoden wie dem beliebten »Zurückfollowen« gewinnen. Als ich mit dem freundlichen Internet-Evangelisten spreche, liegen auf seinem Schreibtisch fünf Handys. »Ich benutze aber nur drei davon«, relativiert er. Während der normale Handynutzer sich im Schnitt alle zwei Jahre ein neues Gerät zulegt -nämlich dann, wenn sein Vertrag abläuft und ihm der Mobilfunkanbieter ein neues Telefon subventioniert bekommt Lobo häufiger ein neues Gerät zum Testen angeboten. Sei es von Vodafone, wo er als freier Berater tätig ist, sei es von Google, die mit dem
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