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Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hape Kerkeling
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meiner Seelenlandschaft und spiegelt meine innere Verfassung wider. Kann nur hoffen, dass der Billigfotoapparat in der Lage war, die Stimmung halbwegs wiederzugeben. Jedes dritte Foto war nämlich bisher über-, unter- oder gar nicht belichtet. Oder mein dicker Daumen versperrte die Sicht auf das Wesent liche.
    Wir sind aufgekratzt. Wenn wir die 25 Kilometer nur künstlich verlängern könnten! Der Weg ist fast zu Ende. Heute! Wir drei haben es geschafft. Na ja, mal davon abgesehen, dass ich am Anfang des Camino ein bisschen geschummelt habe.
    Jeder gepilgerte Kilometer wird heute feierlich durch einen Stein markiert. In Massen strömen die Menschen auf Santiago zu und viele singen so wie wir das berühmte französische Pilgerlied, das auch Sheelagh schon als Kind in der Schule gelernt hat:
    Tous les matins nous prenons le chemin,
    Tous les matins nous allons plus loin,
    Jour après jour la route nous appelle,
    C’est la voix de Compostelle.
    Jeden Tag nehmen wir den Weg,
    Jeden Tag laufen wir weiter, weiter, weiter.
    Tag für Tag ruft uns der Weg,
    Es ist die Stimme von Compostela.
    Da es im Wald ansonsten still ist, können wir sogar mit entfernt vor und hinter uns pilgernden Gruppen im Kanon singen. Ein absurdes Gefühl mit Menschen, die man gar nicht sieht und nie kennen lernen wird, im Gleichklang zu singen. Wir stimmen in einen mystischen Chor mit Abwesenden ein!
    Immer noch singend pilgern wir auch an der Landebahn des internationalen Flughafens entlang und erklimmen den letzten steilen Berg, den Monte do Gozo, der von seinem Gipfel den Blick auf Santiago de Compostela freigibt. Es liegt majestätisch im Sonnenschein strahlend vor uns. Unser Ziel wirkt heiter und ernst, dunkel und hell und scheint ungewöhnliche Gegensätze zu vereinen.
    Anne ist fix und fertig von der Wanderung und kauft sich an einem Kiosk erst mal eine Dose Bier. Beim Betreten der kleinen Kapelle hat sie das Bier immer noch in der Hand und ich bin fast geneigt, mir eine Zigarette in der Kirche anzuzünden. Was sind wir heruntergekommen! Und unsere Sitten verroht!
    Als wir uns dem Ziel von Osten nähern, kommt mir der Holländer aus Rúa in den Sinn: In Santiago bekommt jeder immer den Empfang, der ihm zusteht.
    Kurz vor dem Einzug in die Altstadt kommt mir eine junge Frau winkend entgegen. Durch die heftige Sonneneinstrahlung erkenne ich sie allerdings erst, als sie direkt vor mir steht. Die blendende Lara aus Vancouver ist bereits gestern angekommen. Stolz trägt sie ein neues Kleid. Jubelnd fallen wir uns um den Hals und verabreden uns für den nächsten Tag auf der Plaza vor dem Dom; einem Ort, den ich noch gar nicht kenne.
    Mit einer großen Geste weist Lara uns den Weg in Richtung Ziel. »Am Ende der Straße seht ihr schon den Eingang zur Plaza!«
    Entschlossenen Schrittes eilen wir drei auf das zum Domplatz führende Tor zu. Was dann folgt, ist unser schneller Pilgertod.
    Durch die tunnelartige dunkle Wallfahrerpforte ziehen wir auf den in Sonnenlicht getauchten Kathedralenvorplatz. Mit dem Betreten der Plaza de Obradoiro sind wir keine Pilger mehr. Hier ist die Reise unwiderruflich zu Ende und im gleichen Moment beginnt etwas Neues! Etwas, das wir überhaupt nicht begreifen. In was sind wir denn da hineingeraten? Das muss der Pilgerhimmel sein!
    Eine Menschenmasse in großartiger Feierstimmung erwartet uns. Der Platz ist abgesperrt und Soldaten stehen rundum Spalier. Die Fahnen Galiciens, Spaniens und Europas wehen an unzähligen Masten und machen die Plaza zum Flaggenmeer. Vor dem Parador, dem besten Hotel am Platz, liegt ein langer roter Teppich. Eine Polizeieskorte auf Motorrädern begleitet ein dickes schwarzes Auto zum Eingang des Paradors. Die spanische Nationalhymne ertönt. Ministerpräsident Aznar steigt winkend aus der Limousine und schreitet über den Teppich in den Palast. Jeder bekommt den Empfang, den er verdient.
     
     
    Am Ziel!  
     
    Na, besser kann man es wohl kaum treffen!
    Dieser Aufmarsch gilt zwar unbestritten nicht uns, dennoch fühlt es sich in unserer Euphorie so an. Nach Wochen der Stille unvorbereitet in diese Zeremonie hineinzugeraten, ist besonders beeindruckend und verwirrend.
    Jetzt wollen wir den Beweis dafür, dass wir es geschafft haben. Unsere Urkunde! Also nichts wie in die Pilgerbehörde neben dem Heiligtum.
    Hunderte von Menschen wollen ihre compostela . Wir reihen uns in einem hohen holzvertäfelten Saal in die Schlange der Wartenden vor den antiken Schaltern ein. Man hat das Gefühl in

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