Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hape Kerkeling
Vom Netzwerk:
ein patentes Weib, das auch einer ordentlichen Prügelei nicht ausweicht.
    Als Sheelagh nächtens in unser Hotel zurückkommt und Anne und ich sie kurz vor dem Einschlafen bitten, uns wieder eine spannende Geistergeschichte zu erzählen, bricht es allerdings aus ihr heraus. Sie heult und weint ohne Pause. Der Abend mit dem Iren sei zwar ganz nett gewesen, aber den Sturz vom Tage habe sie keineswegs verdaut. Sie hätte sich so erniedrigt gefühlt und dieser Weg sei für sie so fragwürdig geworden. Ob das denn alles überhaupt Sinn habe? Das Gespräch zwischen uns wird hart und sehr emotional. Jeder entblößt sich innerlich komplett vor den anderen. Bis in die frühen Morgenstunden debattieren wir in den Betten und anschließend auf dem Balkon, um irgendwann selig vor Erschöpfung einzudämmern. Es ist fast gruselig, die starke Sheelagh so hilflos zu erleben. Bisher war sie unsere Stütze, jetzt müssen Anne und ich zur Abwechslung mal das Ruder übernehmen.
    Erkenntnis des Tages:
    Einer für alle. Alle für einen!

17. Juli 2001 – Palas de Rei
     
    Bis nach Santiago de Compostela sind es noch vier Tagesmärsche. Wir haben beschlossen, diese letzten Tage gemeinsam zu laufen, um aufeinander aufzupassen und um den Einzug in das Heiligtum miteinander zu erleben. Wir werden immer aufgekratzter und immer alberner. Es wimmelt jetzt von Pilgern auf dem Camino. Zu Hunderten sind sie auf dem Weg nach Santiago.
    Wenn Leute uns ansprechen, geben wir uns als albanische Flüchtlinge aus, die nur durch Zufall in den Pilgertreck geraten sind. Angesichts Sheelaghs verdroschenem Gesicht klingt das für die meisten auch sehr plausibel. Ich spreche wildfremde Leute an und tue so, als sei ich ein durchgeknallter Interviewer vom polnischen Fernsehen. Wir drei sind schier verrückt und haben einen Mordsspaß dabei. Man hört uns in den Eukalyptuswäldern schon von weitem laut lachen. Andere Pilger drehen sich genervt um und wenn wir uns nähern, wollen sie nur weg, so aufdringlich, wie wir sind.
    Ein freies Bett zu finden dürfte reine Glückssache werden. Selbst die Nachtschichtpilger stehen jetzt bei der Zimmersuche nicht mehr besser da. Zwischendurch stiefeln wir durch einen Wald, in dem der Farn mannshoch wächst, und Sheelagh ist begeistert: »Look, Hans, and this is now Newzealand!« Genauso, findet sie, sähe es in Neuseeland aus, und es ist wirklich schön dort.
    Natürlich wird auch heute fleißig Deutsch gelernt. Sheelagh und Anne finden es nach wie vor sehr gewöhnungsbedürftig, wenn ich mit ihnen Deutsch spreche. Sehr tüchtig lernen wir dennoch die deutschen Uhrzeiten und Himmelsrichtungen. Den ganzen Tag quatschen wir ohne Unterlass, so als wüssten wir, dass wir die wenigen verbleibenden Tage miteinander voll auskosten müssen, da wir im Leben wahrscheinlich nie wieder die Gelegenheit bekommen werden, so intensiv und losgelöst von allem beisammen zu sein.
    Der heutige Wandertag vergeht bei aller Anstrengung fast zu schnell und wir erreichen am Abend Palas de Rei, wo wir recht problemlos ein Zimmer finden und eine Masseurin, die uns für die letzten Tage noch einmal auf Vordermann massiert.
    Meine Füße sind nach wie vor blasenlos!
    Erkenntnis des Tages:
    Viel reden kann auch mal Gold sein!

18. Juli 2001 – Castañeda
     
    Unsere ausgelassene Stimmung hält an und auch den heutigen Wandertag widmen wir der intensiven Beschäftigung miteinander. Der Weg nach Santiago wird immer unbeschwerlicher und der rege Strom von Pilgern gibt uns die Möglichkeit, uns allmählich von der selbst gewählten Stille und Einsamkeit zu verabschieden, um wieder in das richtige Leben einzutauchen. Viel öfter durchqueren wir auch wieder kleinere Ortschaften, in denen es allerdings nach wie vor streng nach Gülle und Kuhfladen riecht. Es ist kaum auszuhalten. Zwischendurch laufe ich mit meinem klitschnassen Halstuch vor den Mund gepresst, um dem permanenten Würgereiz nicht doch noch nachgeben zu müssen, und so lernen meine beiden Freundinnen im Deutschunterricht heute tapfer die Worte Gülle, Kuhfladen und biologische Landwirtschaft.
    Die frohgemute Sheelagh erzählt ausschweifend gegen den Gestank an und zwar von ihrer langjährigen platonischen Liebe zu einem Arbeitskollegen, mit dem sie sich glänzend verstehe, der ihr aber partout keine Avancen machen wolle und mit dem sie dennoch ständig ihre Freizeit verbringe. Sie ist ratlos und hätte gern einen Tipp von uns, wie sie sich ihm gegenüber verhalten solle. Da Anne zunächst nur

Weitere Kostenlose Bücher