Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hape Kerkeling
Vom Netzwerk:
einer Postannahmestelle der Renaissance gelandet zu sein.
    Anne ist vor mir an der Reihe und der ernste Herr fragt: »Haben Sie irgendwo einen Bus genommen, sind Sie irgendwann nicht gelaufen oder getrampt?« Anne verneint wahrheitsgemäß. Es geht hier zu wie in einer Taschenbuchausgabe des jüngsten Gerichts. Kritisch wirft der junge Mann einen ermittelnden Kontrollblick in ihren Pilgerpass. Sie bringt alle notwendigen Stempel bei und so überreicht ihr der Mann feierlich die compostela -Pergamentrolle, nicht ohne diese vorher handschriftlich mit Datum und Namen in lateinischer Sprache zu versehen.
    Was erzähle ich, wenn ich gefragt werde? Ich werde wahrheitsgemäß berichten, wann und wo ich einen Bus und die Bahn genommen habe. Getrampt bin ich ja auch noch!
    Ich bin dran. Eine junge Frau mit streng nach hinten gekämmten langen schwarzen Haaren kontrolliert eingehend die Stempel der letzten 150 Kilometer in meinem Credencial und händigt mir daraufhin, ohne irgendeine Frage zu stellen, lächelnd meine compostela aus, in der am Schluss der entscheidende Satz steht:
     
     
    Die compostela – der Beweis dafür, dass ich es geschafft habe  
     
    Dominum Joannem Petrum Kerkeling hoc sacratissimum Templum pietatis causa devote visitasse. In quorum fidem praesentes litteras, sigillo ejusdem Sanctae Ecclesiae munitas, ei confero! Datum Compostellae die 20 mensis Julii anno Domini 2001.
    Die Glocken läuten Sturm. Verschwitzt, wie wir sind, rennen wir von der Behörde hektisch in die Messe. Am Eingang des Gotteshauses küsst man einer steinernen Statue des Santiago den Fuß. Der Fuß ist über die Jahrhunderte vom vielen Geküsstwerden um einige Schuhgrößen geschrumpft. Werde meine Füße nach dem Duschen auch dafür küssen, dass sie so brav und tapfer gelaufen sind!
    Der riesige Dom ist proppenvoll und schon geht es los. Die an einem langen Seil befestigte Bota Fumeiro, der große Weihrauchkessel, wird von der Decke aus zu dramatischer Orgelmusik durch das gesamte Kirchenschiff geschwenkt und der Rauch benebelt die Sinne.
    Während der gloriosen Messe werden von einer Nonne an die hundert Neuankömmlinge begrüßt: »... und wir heißen willkommen eine Neuseeländerin aus Wellington, eine Engländerin aus Liverpool und einen Deutschen aus Düsseldorf. Alle drei sind von Saint-Jean-Pied-de-Port in Frankreich hierher gelaufen und haben heute ihre Pilgerreise beendet!«
    Wir kommen uns vor wie im Jenseits und wohnen gewissermaßen unserer eigenen festlichen Bestattung bei.
    Mit heißroten Backen und den schweren Rucksäcken stehen wir freudig erschöpft da. Natürlich umarmen wir im Anschluss an die Zeremonie, wie es sich gehört, die goldene Statue des Sankt Jakob über dem Apostelgrab.
    Auf der Plaza gönnen wir uns vor dem besten Hotel, dort, wo auch Aznar abgestiegen ist, eine Flasche Champagner. Glücklicher kann man nicht mehr sein! Zu Annes und meiner Überraschung kramt Sheelagh ihr Kästchen mit den kitschigen Engelkarten aus dem Rucksack. Verdeckt legt sie drei Kärtchen auf die weiße Tischdecke: »Die habe ich für heute aufbewahrt! Eine für Anne, eine für Hans und eine für mich. Ich habe keine Ahnung, was auf ihnen steht! So, jetzt zieht jeder eine Karte.«
    Anne ist die erste. Sie zieht, schaut auf ihr Blatt und lächelt. Wortlos lässt sie ihr Geschenk in der Hosentasche verschwinden. Sheelagh zieht Balance. Die scheint sie gefunden zu haben! Ich nehme die verbliebene Engelkarte. Joy! Freude. Der Jakobsweg der Freude.
    Hier schließt sich mein Kreis.
    Anne und Sheelagh haben Heißhunger auf Pommes und ich nutze die Gelegenheit, um mich kurz abzusetzen. In einem Seitengässchen halte ich in einem überladenen Souvenir-G’schäfterl Ausschau nach passenden Geschenken für meine Freundinnen. Nachdem ich fündig geworden bin, wickelt mir die Verkäuferin die drei kleinen silbernen Erinnerungen in Geschenkpapier.
    Zurück am Tisch auf der Plaza überreiche ich zwei der Päckchen und behalte das dritte: »So, jetzt öffnen wir gleichzeitig die Geschenke!«
    Neugierig wickeln sie die Gegenstände aus. Es sind Silberglöckchen, deren Griff aus einer Statuette des heiligen Jakob besteht. Der Apostel ist als Pilger mit Stab, Muschel und Schlapphut dargestellt. Sheelagh und Anne sind sichtlich gerührt und ich füge hinzu: »Jedes Mal, wenn einer von uns das Glöckchen klingelt, werden die anderen es spüren. Wir werden aneinander denken und in unserer Vorstellung wieder auf dem Weg sein.«
    Sofort

Weitere Kostenlose Bücher