Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
sind.
Das Haus sieht aus wie eine Deko einer amerikanischen Familienserie. Auf den liebevoll aufpolierten Holzböden liegen wertvolle bunte Patchworkteppiche und große, mit frischen Blumen bestückte Vasen runden das geschmackvoll kitschige Bild ab. In der geräumigen luxuriösen Küche erklärt sie dann den Frauen die Funktionen der einzelnen Haushaltsgeräte und des Herdes.
Nach der Hausführung geben wir ihr die vereinbarte Summe und sie überlässt uns zu unserer Verblüffung den Hausschlüssel, verabschiedet sich und verschwindet winkend durch die Eingangstür ins Freie. Und wir kapieren endlich, dass sie uns nicht etwa ein Zimmer, sondern das riesige Haus für eine Nacht zum Schnäppchenpreis überlassen hat! Großartig. Jeder hat sein eigenes Zimmer und zwei große Bäder und drei Toiletten stehen uns zur freien Verfügung.
Nach dem Duschen macht Sheelagh sich daran, einen Kuchen zu backen und Kakao zu kochen. In der Küche hatte die Señora den Damen ja nicht grundlos gezeigt, wo alles steht! Mehrere Monate könnte ich hier bleiben, denn dieser Platz ist himmlisch. Alle drei haben wir immer von so einem Haus geträumt! Sofort werden wir wieder zur »Familie«.
Aus den Schlafzimmerfenstern schaut man auf die wilden Berge Galiciens.
Wir wollen hier nie wieder weg, denn es ist wie in einer kitschigen amerikanischen Familienserie, in der am Ende immer alles gut wird. »Oh Happy day!« wäre der passende Titel! Im Haus, findet Sheelagh, sieht es auch aus wie in Neuseeland.
Bis tief in die Nacht trinken wir Kakao, essen Kuchen, spielen Gesellschaftsspiele und reden, reden, reden.
Erkenntnis des Tages:
Hier und da gibt es das Paradies auf Erden!
19. Juli 2001 – Rúa
Der vorletzte Tag! Nun finde ich kaum noch Zeit zum Schreiben. Wir nutzen jede Minute miteinander und das hat Vorrang.
Haben uns heute Morgen sehr schwer von dem Haus trennen können, denn das war unser Höhepunkt! Wir haben eine Nacht zusammengelebt und alles in die paar Stunden investiert. Aus manchen Wohnungen, in denen ich jahrelang gewohnt habe, bin ich mit leichterem Herzen ausgezogen als aus diesem Haus.
Die Señora ist in der Früh pünktlich erschienen, um uns gebührend zu verabschieden.
Während des Caminos sind wir eher still und machen viele Fotos voneinander, als hätten wir Angst davor, einander bald vergessen zu können. Es herrscht eine melancholische Abschiedsstimmung und immer wieder trösten wir uns damit, dass uns noch einige gemeinsame Tage in Santiago bleiben.
Wir trödeln vor uns hin und lassen uns an unserem letzten Tag vor der Ankunft treiben. Auch Sheelaghs Zielstrebigkeit ist einer gewissen Gemütlichkeit gewichen.
Allmählich ist das Ende absehbar
Heute lernen Sheelagh und Anne auf eigenen Wunsch die Namen deutscher Haushaltsgeräte.
Gegen Abend erreichen wir Rúa. Dort finden wir ein Zimmer auf einem wunderschönen Bauernhof. Als wir dort in der Gaststube neben einer fünfköpfigen holländischen Radpilgerfamilie zu Abend essen, denke ich laut auf Englisch: »Also ich weiß nicht! Mir macht das Laufen einfach keinen Spaß, obwohl ich jetzt fast sechshundert Kilometer zu Fuß zurückgelegt habe. Ich finde den Weg toll, ich freue mich, dass ich euch kennen gelernt habe, aber das Gehen als solches macht mir nicht die geringste Freude. Es tut ja auch immer weh!«
Die holländische Familie findet das, was ich sage, zum Brüllen komisch und lacht herzhaft, bis der Vater sich fängt und sagt: »Was? Sie sind fast sechshundert Kilometer gelaufen und immer noch macht es Ihnen keinen Spaß?« Ich sage: »Ja, ich bin ehrlich! Ich will jetzt einfach nur endlich in Santiago ankommen! Das war schließlich mein Ziel!« Der Holländer schaut mich skeptisch an und meint: »Ich bin sehr gespannt, welchen Empfang Ihnen Santiago bereitet. Ich bin den Weg schon zweimal gelaufen und eins habe ich gelernt: In Santiago bekommt jeder immer den Empfang, der ihm zusteht. Ich hoffe, man wird Sie dort gut aufnehmen!«
Wir drei schauen uns schweigend an. Wie soll man uns dort schon empfangen? Geschossen wird da wohl nicht auf uns! Das habe ich hinter mir!
Erkenntnis des Tages:
Es ist keine Frage der Zeit, wo man sich zu Hause fühlt.
20. Juli 2001 – Santiago de Compostela
Der letzte Tag!
Bei unserem Abschied aus Rúa habe ich mit meiner Wegwerfkamera das schönste Foto gemacht. Meinen »Camino bei Sonnenaufgang« wird die »Bäckerblume« zum Pilgerfoto des Jahres küren müssen. Es ist das Bild
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