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Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hape Kerkeling
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machen, ist falsch! Kommen Sie aus Deutschland?«
    »Ja«, gebe ich zu.
    »Das dachte ich mir!«, lacht er triumphierend. Ohne jede Vorwarnung schreibt er mit dem Finger die Zahl 1952 auf die Motorhaube seines staubigen grünen Seat und verkündet: »Da war ich in Deutschland, in Heidelberg. Grauenvoll. Ganz Deutschland lag in Schutt und Asche. Da waren Sie noch nicht auf der Welt.«
    »Danke für das Kompliment«, sag ich und frage mich, was er von mir will, während der Verkehr hinter ihm zusehends ins Stocken gerät! Er redet weiter. »Nur Heidelberg ist wie durch ein Wunder heil geblieben.« Im Verlauf eines längeren Monologs klärt er mich darüber auf, wie toll ihn die deutschen Frauen damals fanden, wie toll das Leben überhaupt sei... dass ich mir das alles merken solle... und dass ich im Übrigen auf der falschen Seite der Straße laufe und dass ich ihm am Ende der Straße noch sehr dankbar sein würde für seinen Hinweis.
    Er umarmt und herzt mich und wünscht mir »Buen Camino«. Ich laufe brav auf der rechten Straßenseite weiter, ein bisschen benebelt, aber lächelnd und mit dem Gefühl, einen alten Bekannten getroffen zu haben. Am Ende der Straße bin ich ihm tatsächlich sehr dankbar. Wäre ich weiter stur auf der linken Seite gelaufen, hätte ich am Ende der Straße dummerweise den mehrspurigen Autobahnzubringer überqueren müssen.
    Nach einem knapp zweistündigen Fußmarsch brauche ich am Stausee von Logroño, dem Pantano de la Grajera, meine obligatorische Pause. Die Stadt liegt hinter mir und die Landschaft wird wieder wilder und etwas hügeliger. Während ich qualmend auf einer Bank sitze, zieht ein schräges älteres Pilgerpärchen in Zeitlupe Händchen haltend an mir vorbei. Die kleine, ausgemergelte, farbige Frau um die siebzig haucht atemlose Sätze auf Portugiesisch, während er, ein Anthony-Quinn-Verschnitt mit einem riesigen Strohhut auf dem Kopf und einem großen Kruzifix um den Hals, sie auf Spanisch zu beruhigen versucht. Beide tragen weiße Santiago-T-Shirts und laufen gestützt auf Stöcke ohne jegliches Gepäck. Ein rührendes Bild wie aus einem surrealen Film.
    Später hole ich die beiden beim Aufstieg nach Navarrete wieder ein. Ich habe selten etwas so Rührendes gesehen. Die Frau hat dramatische Probleme damit, die milde Steigung zu bewältigen. Aber sie läuft, schwer atmend, im Schneckentempo an der Hand ihres Freundes weiter.
    Als ich mich nähere, erkenne ich, dass hinten auf ihrer blauen Schirmkappe in Portugiesisch steht: »O Senhor es mi pastor«. Der Herr ist mein Hirte!
    Dieses Gottvertrauen ist sagenhaft und ich verbiete mir ab sofort, meine schmerzenden Füße zu erwähnen oder auch nur zu spüren!
    Heute bleibe ich endlich einmal im Zeitplan und komme nach drei Stunden in der Pilgerherberge von Navarrete an. Dort werde ich mit großem Hallo von zwei strahlenden jungen Däninnen empfangen, die hier freiwillig Dienst tun. Die Pilgerherberge ist ein mittelalterlicher Bau in der Dorfmitte und sehr einladend. Es duftet nach frischem Kaffee und Kirschkuchen und so veranstalten die Däninnen und ich erst mal ein Kränzchen. Von Müdigkeit spüre ich rein gar nichts mehr und fühle mich nach der Stärkung fit genug weiterzuwandern. Ich lasse mein Credencial del Peregrino abstempeln, fülle meine Wasserflasche auf und hänge wagemutig eine weitere Tagesetappe dran. Mittlerweile brettert auch wieder die spanische Sonne vom Himmel. Nájera liegt laut Wanderführer schlappe fünf Stunden entfernt. Das packe ich.
    Sobald man Navarrete hinter sich lässt, führt der Jakobsweg durch sanfte Weinberge auf den Höhenpass Alto de San Antón. Von hier aus erhascht man einen ersten Blick in das berühmte Tal der »Steinmännchen«. Mit zugekniffenen Augen sieht man, was aussieht wie eine erstarrte Pinguin-Kolonie.
    Jeder Pilger baut hier nämlich ein kleines Steinmännchen aus den überall in der Ebene herumliegenden Findlingen. Manche Wanderer bringen sogar farbige Steine mit. Ich bin der einzige Mensch, so weit ich schauen kann, und in dieser unendlichen Weite begreife ich zum ersten Mal, wie viele Menschen diesen Weg bereits gepilgert sind. Von Menschenhand gestapelte Steine, so weit das Auge reicht. Jedes Männchen ist anders. Eines wirkt wie ein Wunsch, das Nächste wie ein Hilferuf oder ein Dankeschön. Jeder Pilger nimmt sich in dieser staubigen Hitze nach stundenlangem Marsch die Zeit, sein eigenes Zeichen zu setzen.
    Mit all den Menschen, die diesen Weg gegangen sind, fühle ich

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