Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
von meinen Lieblingsblumen, rotem Klatschmohn.
Und wen treffe ich während meiner Wanderung? Die kleinerothaarige Engländerin aus Logroño. Ihr FC-Barcelona-
T-Shirt leuchtet einem schon aus einem Kilometer Entfernung entgegen. Die hat wahrscheinlich auch Angst davor, dass sie auf dem Weg tot umfällt und keiner sie findet. Ihre geschorenen roten Haare und ihre Harry-Potter-Brille tun ein Übriges dazu, dass sie nicht unentdeckt bleibt in dieser endlosen Weite. Der große Safari-Hut auf ihren Schultern verleiht ihr die Aura einer potenziellen Nobelpreisträgerin. Ich möchte zu gerne wissen, was die hier macht? Sie schaut wenig katholisch aus und wirkt auf mich wie eine eigenbrötlerische, aber humorvolle Insektenforscherin. Sie ist so viel interessanter als die anderen Pilger.
Als ich sie auf dem Weg überhole, grüße ich nur knapp und diesmal nicht zu freundlich. Diesmal gehe ich systematisch vor und schaue so unlüstern, wie es nur eben geht. Ich möchte auf keinen Fall den falschen Eindruck, den sie von mir hat, noch zusätzlich untermauern, falls sie sich überhaupt noch an mich erinnert. Sie grüßt zunächst nett zurück, erkennt mich dann aber wieder und ihre Gesichtszüge entgleiten. Während ich zügig an ihr vorbeiziehe, starrt sie stoisch, fast ängstlich geradeaus. Welcher Film gerade in ihrem Kopf abläuft, kann ich mir vorstellen. Ein Mann und eine einsame Frau alleine in der Wildnis. Das kann nur eins bedeuten. Ernsthaft überlege ich mir, ob ich die Konversation nicht mit den Worten: »Guten Tag, ich will keinen Sex!«, eröffne.
In einer saloonartigen Bar im nächsten verschlafenen Nest bietet sich mir die Gelegenheit dazu. Wie sie es geschafft hat, vor mir hier zu sein, bleibt ihr Geheimnis. Eigentlich hatte ich sie ja überholt. Die Überraschung steht mir ins Gesicht geschrieben. Knallrot und erschöpft steht sie an der Theke und genießt ihren Milchkaffee. Der Blick, mit dem sie mich empfängt, gibt mir das Gefühl, ein seit langem gesuchter Triebtäter zu sein. Ich geselle mich trotzdem zu ihr, denn es ist ja sonst kein anderer Gast da, und dränge ihr ein Gespräch auf: »Hi, my name is Hans Peter.« Erneut entgleiten ihr die Gesichtszüge: »What? You’ve got two names? Are you a member of a Royal Family?« Dem Akzent und dem Humor nach zu urteilen, weiß ich jetzt sicher, was bisher nur eine kühne Vermutung war: Sie ist Engländerin und was für eine! Lustlos streckt sie mir ihre Hand entgegen. »Hi, I am Anne. Just Anne!« Meinen spröden Witz, dass dem Namen nach ja wohl eher sie als ich königlichen Ursprungs sei, verbucht sie wohl wieder unter blöde Anmache. Und so spült sie ihren Milchkaffee hinunter und verlässt wie der Sheriff von Dawson City den Saloon, nicht jedoch ohne vorher ihren großen Safari-Hut zum Gruße zu lüpfen. Ich, der Strauchdieb, bleibe zurück.
Heute Abend werde ich in einer Pilgerherberge übernachten. Ich muss jetzt endlich mal unter die Leute und mich unterhalten. Wenn schon nicht auf Deutsch, dann wenigstens auf Englisch. Ich werde ja schon so lästig wie ein vereinsamter Rentner im Tante-Emma-Laden.
Nach über zwanzig Kilometern Fußmarsch bin ich heute nicht so kaputt wie üblich. Glaube, ich gewöhne mich langsam an das Laufen. Ich darf morgens nicht zu schnell laufen, muss Pausen machen und viel trinken. Auch meine Beine spielen eigentlich ganz gut mit. Die Strecke für morgen habe ich mir bereits auf der Wanderkarte angeschaut, dürfte nicht zu anstrengend werden und knapp siebeneinhalb Stunden dauern; eineinhalb Stunden länger als heute.
Und so erreiche ich sehr kommunikationsfreudig das Ziel meiner heutigen Etappe, Santo Domingo de la Calzada, und kehre in der Pilgerherberge ein. Sie ist untergebracht in einem düsteren Zisterzienserinnenkloster aus dem 16. Jahrhundert hinter dem Stadttor, das der Welt nicht besonders zugewandt wirkt. Die Festung macht eher den Eindruck einer in sich geschlossenen Welt.
Eine gestrenge Ordensschwester teilt mir Bett Nummer sieben in einem Acht-Bett-Zimmer zu. Als die Nonne mich in den Raum begleitet, liegt dort – einzige Pilgerperson im Raum – Anne auf ihrer Doppelstockpritsche. Sie schläft heute Nacht in Bett Nummer sechs, mir schräg gegenüber. Ja, da ist die Freude groß und bis jetzt sind wir beide auch noch ganz allein im Schlafsaal! Ihr erstaunter Blick ist so komisch, dass ich ein Lachen kaum unterdrücken kann. Es wundert mich schon sehr, dass in einem Nonnenkloster Männlein und Weiblein
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