Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
in einem Raum übernachten dürfen. So viel gewagte Offenheit seitens der katholischen Kirche hatte ich auf einem Pilgerweg nicht erwartet. Ich unterlasse es tunlichst, Anne ein weiteres Mal ein Gespräch aufzuzwingen.
Während ich still mein Nachtlager, übrigens direkt neben der Tür zum Klo, bereite, führt die Nonne eine ältere Frau und einen gut aussehenden jungen Mann in unser Zimmer, die sich auf Bett Nummer vier und fünf stürzen. Annes Gesicht hellt sich auf und sie begrüßt die beiden Fremden wie alte Freunde. »Lori, Brad, how did you get here?« Die Amerikanerin namens Lori fällt Anne um den Hals. Danach werde ich mit Shakehands begrüßt und Anne versäumt es nicht zu erwähnen, dass sie aufgrund meiner zwei Namen schwer vermuten würde, ich sei Mitglied einer Königlichen Familie. Die drei kennen sich aus der Pilgerherberge in Saint Jean und begegnen sich hier wieder.
Anne aus Liverpool im FC-Barcelona-T-Shirt
Während wir munter drauflosquatschen, erfahre ich nebenbei, dass Brad und seine Mum aus Seattle kommen und Anne aus Liverpool, daher ihr witziger Akzent.
Alle drei sind durch das Buch Der Jakobsweg von Shirley MacLaine zu Pilgern geworden, das ich mir witzigerweise als einzige Lektüre neben meinem bereits viel zitierten Wanderführer eingepackt habe. Meine Zimmergenossen finden, dass Shirley MacLaine in jenem Buch die Strapazen des Pilgerwegs nicht deutlich genug beschreibt. Das hole ich nun gerne nach. Es ist un-be-schreib-lich an-streng-end!
Die Gesprächsatmosphäre ist locker und Anne kann sogar richtig nett sein, denn sie lüftet das Geheimnis ihrer frühen Ankunft in dem Saloon. »I just wanted to see an old Western movie set, which is off the Camino! And that’s quite a short cut!« Es gibt also auch Abkürzungen! Schade, die behält mein erzkatholischer Pilgerwegführer anscheinend für sich.
Lori will von Anne wissen, was sie bisher auf dem Weg gelernt habe, und die gibt freimütig zu, dass sie auf dem Weg langsam lernen würde, sich von Dingen zu trennen, und sie erkannt habe, dass attachement wohl ihr Problem sei, die Neigung, zu sehr an den Dingen zu kleben. Siehe da, die erste Gemeinsamkeit zwischen der Dame und mir! Wir drei Zuhörer benicken heftig ihre weise Erkenntnis. Und während sie erzählt, macht sie sich auch offensichtlich von der fixen Idee frei, dass ich etwas von ihr wollte.
Ich gebe zum Besten, dass mir mein Rucksack mittlerweile vorkommt wie eine Superluxusyacht. Denn jetzt mal ehrlich! Wirklich brauchen tue ich nur ein Drittel der Sachen, die ich mitschleppe. Und wozu habe ich mir eigentlich diese Isomatte andrehen lassen? Ich schlafe doch gar nicht im Freien oder auf dem Boden und habe es auch nicht vor! Morgen verschenke ich meine Isomatte. Die wiegt fast ein Kilo. Exakt siebenhundertfünfzig Gramm. Ganz schön viel, wenn man die einen Monat lang mitschleppen muss. Ein Heidengeld habe ich für das Superluxusteil bezahlt. Was man hier wirklich braucht, ist Wasser, ein paar Orangen, Bananen, ein bisschen Brot, Klopapier und – ganz wichtig – einen Stock. Die Kleidung, abgesehen natürlich von der Unterwäsche, kann man alle zwei Tage waschen. Tatsache ist: ich hab viel zu viele Sachen mitgenommen!
Während Lori und Brad sich aufmachen zum Abendessen, bleibe ich mit Anne wieder alleine zurück im Zimmer. Sie wurstelt inzwischen mit einer gelben Plastikplane herum und braucht offensichtlich Hilfe: »Gosh, I don’t know how to fix this bloody tent!« Ich versuche ihr dabei zu helfen, das ausgebreitete Ein-Mann-Zelt in ihren Rucksack zurückzudrängen. »You sleep in a tent?«, frage ich und diesmal entgleiten mir die Gesichtszüge. »It’s too cold outside!? Isn’t it?« Anne grinst. »Oh, yes it is! So once in a while I sleep in a refugio . Although I’d rather like to sleep alone! You know, what I mean!« Während Anne mir unmissverständlich klar macht, dass sie trotz der Kälte lieber allein im Zelt schläft, schlüpft sie unter einem Handtuch in ihren Pyjama, sodass sich eine Einladung meinerseits zum Abendessen erübrigt. Mit einem nicht zweideutigen »See you later!« entschwinde ich.
Um zehn Uhr spätestens muss ich zurück sein, denn dann ist hier Umschluss und ich muss brav in die Koje.
Der Domplatz von Santo Domingo de la Calzada ist eine Bilderbuchkulisse. Santo Domingo ist nach dem heiligen Domingo benannt, der hier im Mittelalter ein Hospiz für die Armen errichtete und sich ihrer selbstlos annahm. Die
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