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Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hape Kerkeling
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Standingovation schenken; das ist das Mindeste, was ich jetzt erwarte. Und danach spendiere ich vielleicht Freibier für alle.
    Aber hier tut sich nichts, dieser Ort ist wie gerade gestorben. Laut meinem zoologisch geschulten Pilgerbuch sollen hier nachts laut vernehmbar zumindest die Wölfe heulen! Im Moment fegt nur ein trockener heißer Wind fauchend den Staub durch die zwei Straßen.
    Wohl oder übel muss ich in diesem aus fünf baufälligen Häusern und einem kleinen schmucken Hotel bestehenden Kaff bleiben. Das nächste Hotel ist vierundzwanzig Kilometer entfernt.
    Als ich in das kühle einfache Hotelrestaurant, unter dessen Decke ein riesiger Ventilator ganze Arbeit leistet, kom me, sitzt da eine hübsche dunkelhaarige Frau beim Kaffee und schreibt Tagebuch. Ich grüße freundlich, lasse mir an der Rezeption, die gleichzeitig die Biertheke ist, vom Wirt einen Zimmerschlüssel aushändigen und geselle mich ungefragt zu der jungen Frau.
     
     
    Wie eine Fata Morgana taucht plötzlich Calzadilla de la Cueza auf  
     
    Viel Vorgeplänkel brauchen wir nicht, um ins Gespräch zu kommen, und so geht es flott ans Eingemachte. Je länger man läuft, desto weniger Lust hat man auf irgendein oberflächliches Gequatsche übers Wetter oder ähnliche Belanglosigkeiten und ich spüre mittlerweile, wer hier zu mir passt und zu wem ich passe.
    Jose aus Amsterdam passt zu mir. Sie erzählt, dass sie sich gestern in Carrión vorläufig von ihrer Freundin verabschiedet habe. Beide haben beschlossen, den Weg jede für sich allein zu gehen. Jose läuft morgen vom nächsten refugio , das noch einige Kilometer entfernt liegt, weiter. Ihre Freundin bleibt noch einen Tag in Carrión und will sich den Kreuzgang des Klosters ansehen. So hat Jose vor ihrer Freundin zwanzig Kilometer Vorsprung und in elf Tagen wollen sie sich dann wieder treffen.
    Für die Holländerin gibt es auf diesem Weg auch nur ein Thema. Sei du selbst! Und die entscheidende Frage für sie ist: »Wer bin ich wirklich?« Es entwickelt sich ein schönes, intensives Gespräch wie unter Freunden, denn Jose geht es ähnlich wie mir, auch sie tut sich nicht so leicht mit den Pilgerherbergen und den dazugehörigen Menschen. Es tut immer gut zu wissen, nicht der Einzige zu sein, der die Dinge aus einem bestimmten Blickwinkel betrachtet.
    Jose verrät mir zum guten Schluss ihr Geheimnis, wie sie es immer wieder schafft, weiterzupilgern ohne aufzugeben: »Weißt du, wenn ich etwas brauche, bestelle ich es einfach beim Universum!«
    »Das klappt?!«, frage ich zweifelnd und finde diesen Tipp ein bisschen bekloppt, auch wenn Jose für mich nicht in die Kategorie »psychisch auffällig« gehört. Sie grinst übers ganze Gesicht und ihre Augen und Zähne strahlen: »Probeer et!«, fordert sie mich auf Holländisch heraus.
    Jose verabschiedet sich nach zwei weiteren Tassen Kaffee mit einem Küsschen und zieht weiter.
    Mein wunderbares abgedunkeltes Zimmer lässt mich vergessen, wie gerädert ich bin, und so mache ich mich flötend an die große Wäsche. Ich hasse es, wenn meine Sachen langsam anfangen zu müffeln, am liebsten würde ich sie schon unterwegs waschen.
    Hab mir gestern in Carrión del los Condes ein bügel- und knitterfreies Stadthemd gekauft, denn in meinem alten Jeanshemd sehe ich wirklich verboten aus. Sobald ich in ein Dorf komme, habe ich den Eindruck, jeder glotzt blöd auf das olle Hemd. Das Stadthemd macht etwas mehr her. Das Jeanshemd benutze ich jetzt zum Wandern und das Stadthemd, na ja, ist halt für die Stadt. Aber hier in Calzadilla lasse ich heute mein Jeanshemd an, denn das Nest fällt definitiv nicht unter Stadt. Außerdem bin ich immer noch sauer auf den Ort, weil er sich bis kurz vor meiner Ankunft in der Mulde versteckt gehalten hat.
    Mann, das ist heute wieder eine Wärme! Während im Bad die aufgehängte Wäsche laut in die Duschwanne abtropft, versuche ich ein bisschen zu schlafen, was bei der bleiernen Hitze trotz der geschlossenen Rollos und der weit geöffneten Fenster nur schwer möglich ist. Im Zimmer nebenan ziehen indes neue Nachbarn ein. Ein Ehepaar aus Deutschland; den Stimmen nach sind sie Ende fünfzig. Pilgerstäbe werden mit viel Gepolter gegen die Wand gestellt. Da der Ort keine Kirche hat, besitzt dieses Hotel wenigstens die Akustik des Kölner Doms. Es ist so hellhörig, dass ich jedes noch so leise Wort und jeden Schritt – ob ich will oder auch nicht – mitbekomme. Unweigerlich denke ich an eine Lebensweisheit meiner

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