Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
Oma: Der Lauscher an der Wand hört seine eigene Schand! Ja doch! Aber ich liege schließlich im Bett und will eigentlich schlafen und niemanden abhören und langweilig ist es auch, wenn man nicht eindösen kann. Die beiden Neuankömmlinge wollen sich aber zum Glück auch ausruhen und haben hoffentlich noch voll funktionstüchtige Gaumensegel.
Nach fünf Minuten – sie haben sich bereits hingelegt – höre ich folgenden Dialog, den ich hier ohne Schuldgefühle niederschreibe, denn die Herrschaften bleiben ja anonym:
Sie (schnippisch): »Hör auf, das zu machen.«
Er: »Ich mach nichts.«
Sie: »Doch, wohl machst du was.«
Er: »Gar nichts mach ich.«
Sie (schreit): »Hör auf, verdammt noch mal. Ruhe!«
Es bleibt über zwei Minuten lang ruhig. Ich kann sowieso nicht mehr schlafen und brenne darauf zu wissen, wie die Geschichte weitergeht. Sorry, Oma! Das ist zwar ein übler Zug an mir, aber menschlich allemal! Und tatsächlich, es geht weiter.
Sie: »Hör auf.«
Er: »Ach was.«
Er murmelt irgendetwas Unverständliches.
Sie: »Ach, halt den Schnabbel und dreh dich von mir weg.«
Dann brüllt sie hysterisch irgendetwas Unverständliches. Na, den beiden scheint der Jakobsweg ja gut zu bekommen, denke ich. Ich schlafe dann aber doch tatsächlich ein.
Dreißig Minuten später höre ich wieder die gleichen Stimmen und werde durch sie geweckt. Diesmal allerdings unter meinem Fenster. Die beiden konnten wohl nicht einschlafen und drehen nun eine Runde durch den Ort, wobei sie irgendetwas miteinander bereden. Ich sehe wieder nichts – es bleibt ein Hörspiel. »Sie« wird lauter und spricht jemanden an, der gerade sein Auto auf der Straße parkt. Folgender, gut gebrüllter Dialog ergibt sich, woraus ich schließe, dass man während des Dialogs offensichtlich nicht aufeinander zugegangen ist.
Meine Zimmernachbarin, also Sie: »Sind Sie Deutsche?«
Eine andere, um einiges jüngere Frau antwortet: »Ja, wie kommen Sie darauf?«
Im Hintergrund hört man die Stimmen deutscher Kinder, die miteinander spielen.
Sie: »Weil Sie ein deutsches Autokennzeichen haben.«
Clever kombiniert, denke ich und lache kurz laut auf.
Die andere Frau: »Ja, wir sind Deutsche.«
Sie: »Wir sind auch Deutsche.«
Da wäre die andere Frau sonst sicher nie draufgekommen.
Andere Frau: »Netter Ort, nicht? Sind Sie hier im Hotel?«
Sie: »Ja.«
Andere Frau: »Und?«
Sie: »Sauber.«
Das kann ich als ihr ebenso spießiger Landsmann nur bestätigen und nicke innerlich.
Andere Frau: »Kennen Sie sich hier in der Gegend aus?« Dann weiter leicht gereizt, wahrscheinlich zu ihrem Mann: »Günther, würdest du mir mal bitte hier aufmachen?«
Wahrscheinlich geht’s um den Kofferraum oder die Autotür, keine Ahnung, vielleicht sitzt sie ja im Wagen und will raus oder umgekehrt. Ist ja ein Hörspiel und ich schäme mich für meine unstillbare Neugierde.
Günther antwortet jedenfalls nicht.
Sie: »Ne, wir kennen uns ja hier nicht aus.«
Andere Frau: »Wir wollen nach Burgos. Kennen Sie da ’n Hotel?«
Sie: »Ja, da kommen wir ja her. Direkt in der Altstadt gibt’s ein Art-déco-Hotel.«
Andere Frau: »Kommt man da gut mit dem Wagen hin?« Dann weiter schnippisch zu Günther: »Kannst du mir jetzt mal bitte hier öffnen?«
Wieder an »Sie« adressiert: »Haben die auch einen Parkplatz?«
Sie: »Ja, das denke ich doch, wir sind nicht mit dem Wagen.«
Die andere Frau zeigt keine Reaktion.
Sie (auf Anerkennung wartend): »Wir sind zu Fuß.«
Andere Frau: »Ach!? Sie gehen den Jakobsweg.«
Sie: »Nach Santiago.«
Andere Frau: »Da kommen wir mit dem Wagen her. Tüchtig, denn mal weiter! Gute Reise für Sie, wir wollen dann auch weiter.«
Und weiter zum Mann: »Machst du mal das jetzt hier auf, Günther?«
Sie: »Alles Gute.«
Ich nehme an, »Sie« hatte sich mehr Ehrfurcht erhofft. Die anderen Herrschaften rauschen indes mit ihren Kindern ab.
Meine Nachbarin sagt irgendwas zu ihrem Mann; dem Klang nach vermute ich, dass es sich um etwas Abfälliges über die Leute mit dem Wagen handelt. Fünf Minuten später kommt mein älteres Ehepaar in das Nachbarzimmer zurück.
Er (ganz entschlossen) behauptet: »So, jetzt schlafe ich.«
Offensichtlich hat das vorher nicht geklappt, genau wie bei mir. Dann sagt sie wieder was Unverständliches und brüllt wie von der Tarantel gestochen hysterisch durchs ganze Hotel den Namen einer galicischen Stadt: »La Coruña, La Coruña, La Coruña!«
Dann herrscht Ruhe. Höre sie noch mal
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