Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
haben kein Hotel. Können wir vielleicht bei Ihnen schlafen?«
Die Frau lacht: »Sicher, klar. Warum nicht?« Sie ruft ihre Freunde – zwei Frauen und einen Mann – zu sich. Der Mann ist Bildhauer und wie der Zufall es will, Enkel eines italienischen Einwanderers und spricht richtig gut italienisch. Veronika, so heißt unsere Retterin, ist ebenfalls Bildhauerin und kennt mich tatsächlich aus dem Fernsehen, genauso wie ihre Freundin, eine tschechische Emigrantin, die mittlerweile in Nürnberg lebt und zum ersten Mal seit Jahren in der alten Heimat ist. Als ich dann noch erzähle, dass meine Oma eine gebürtige Marienbaderin ist, bin ich von den Tschechen adoptiert.
Wir dürfen dann vier Tage in Veronikas Atelier, das einen herrlichen Blick über die Altstadt von Prag bietet, wohnen. Jahre danach haben wir uns noch geschrieben.
»Dobri novi rok« heißt übrigens frohes neues Jahr.
Genauso absurd ist die Geschichte, als ich in Ägypten in einem Hotel mitten in der Wüste fast an einer Vergiftung gestorben wäre. Drei Zimmer weiter macht zufällig eine Kardiologen-Koryphäe aus Kairo Urlaub und rettet mir mal eben das Leben.
Da gäb’s noch ein paar Geschichten, die die Frage nahe legen: Ist all das Zufall?
Der Weg ist heute extrem anstrengend. Zwanzig Kilometer nur geradeaus. Kein Wunder, dass ich in Gedanken ständig abschweife. Ich laufe mittlerweile immer der Landstraße entlang, links und rechts an endlosen Weizenfeldern vorbei, durch die Tierra de Campos.
Ich bin irgendwann so erschöpft und habe glühende Schmerzen in den Beinen, sodass ich beginne, um mich herum seltsame helle Lichtstreifen wahrzunehmen, und das Gefühl habe, zwei riesige weiße flügelartige Lichtgebilde tragen meinen Rucksack. Ich spüre ihn gar nicht mehr. Anstatt langsamer zu werden, laufe ich dann immer schneller. Dieses unglaubliche Lauftempo erstaunt mich sehr und es fühlt sich so an, als laufe da jetzt jemand anderes!
Dieses Gehen auf dem Zahnfleisch ist anscheinend pure Meditation. Mann, dieses Licht, dieses wahnsinnig helle Licht, das ich dann den ganzen Tag spüre, ist kolossal. Zwischendurch kontrolliere ich sicherheitshalber immer wieder, ob ich meine Sonnenbrille auch tatsächlich auf der Nase habe. Es ist alles so hell. Der Weg, die Felder, mein Körper. Ohne dieses Licht würde ich vor Erschöpfung umfallen. Oder ist dieses Licht vielleicht nur Ausdruck meiner Erschöpfung? Keine Ahnung. Wahrscheinlich ist meine Endorphinproduktion mittlerweile auch am Ende mit ihrem Latein und lässt mich warnend aufglühen wie eine Neonlampe. In zwei Tagen sechsundfünfzig Kilometer zu laufen ist für einen wie mich vielleicht doch eher zu strapaziös.
Meine Träume werden von Nacht zu Nacht intensiver und in mir arbeitet es, als hätte jemand das Getriebe geölt. Gestern Nacht bin ich im Schlaf hochgeschreckt, weil irgendwer im Traum die Empfehlung parat hielt, mich von drei Freunden radikal zu trennen. Konnte danach gar nicht mehr richtig einschlafen. Die Telefonnummern der drei Menschen habe ich in meinem Handymenü vorsichtshalber mal gelöscht; kann sie ja, falls ich es bereuen sollte, wieder aus dem Papierkorb fischen.
Ich spüre, dass das, was ich gerade tue, deutlich über meine körperlichen Kräfte geht, aber ich tue es weiter, und dass ich tot umfallen werde, glaube ich nicht mehr, denn irgendetwas scheint mich zu tragen. Vielleicht ist es ja mein Wille? Mental fühle ich mich bei allem Schwächeln durchaus gestärkt. Ob mir diese lange Zeit des Alleinseins wirklich bekommt? Allmählich fange ich an, das Alleinsein zu mögen! Diese luxuriöse Möglichkeit, mich einmal nur mit mir auseinander zu setzen, fängt an, Früchte zu tragen; auch wenn manche davon einer mir bisher unbekannten – aber interessanten – Gattung angehören.
So durchwandere ich Carrión del los Condes, einen schroffen kleinen hellgrauen Ort, überquere eine Steinbrücke aus der Römerzeit über einen reißenden Fluss und erreiche das zu einem Hotel umgewandelte Benediktinerkloster Real Monasterio San Zoilo, wo ich mir ein Zimmer nehme. Von außen ist das Kloster unscheinbar, fast hässlich und wirkt wenig monumental. Aber im Innern der Anlage befinden sich ein beeindruckender Kreuzgang, der umwerfend schöne weiße Klosterhof, eine ausladende rechteckige Kathedrale und der gigantische Park.
Über Lautsprecher wird man mit gregorianischem Mönchsgesang in eine Art Dauermeditation versetzt. Dieses Hotel hat zig Zimmer, aber außer drei
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