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Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hape Kerkeling
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zwischendurch anderen Pilgern begegne, denn das ist schließlich auch mein »Urlaub« und da mache ich, was ich will.
    Eine heitere Frauenpilgertruppe aus Ulm, die mich erkennt und mein schräges Gesinge lustig findet, denkt sofort ich sei mit der versteckten Kamera unterwegs. Das bejahe ich natürlich und lasse die Damen ziemlich verwirrt an einem vereinsamten Muschelwegweiser stehen und auf den mir nachfolgenden Fernseh-Ü-Wagen warten. Indes singe und laufe ich beschwingt weiter, kann allerdings eine Frage nicht unterdrücken: Ist das der Sinn einer Pilgerschaft, »Save your kisses for me!« auswendig vor sich hinzuträllern? Das macht zwar rasend gute Laune, aber bringt mir das außerdem was? Ist es nicht großartig, bei sich selbst eine derart gute Laune erzeugen zu können?
    Und was ist mit meiner schlechten Laune? Stelle ich die vielleicht durch hässliche Lieder im Kopf her? Spielt dann Zwölftonmusik in meinem Hirn? Aber wenn, dann mache ich das wohl kaum mit Absicht.
    Die noch verbleibenden Kilometer beschließe ich schweigend und ohne Gedanken zu verbringen. Eine Anregung von Sheelagh, die mir in León gesagt hatte: »Man ahnt gar nicht, was mit dem Körper passiert, wenn man ihn ohne Denken und Sprechen nur vorantreibt und läuft. Einfach nichts denken! Klingt einfach, ist aber sehr kompliziert. Und dann geschieht etwas Wunderbares! Probier es mal!« Also werde ich es probieren!
    Als ich kurz danach einen winzig kleinen Ort durchwandere, steht auf der Mauer einer alten Grundschule am Ortsausgang in krakeliger Kinderschrift: »Yo y Tú«.
    Ich und du. Ein Schulkind hat hier offensichtlich mit bunter Kreide das Schreiben geübt. Das klingt wie ein Thema! Ich werde also schweigend, ohne zu denken, laufen und das Thema lautet: »Ich und du.« Sofort vergesse ich das Thema wieder und versuche endgültig gedankenlos auf dem Feldweg, der sanft bergauf nirgendwohin zu führen scheint, weiterzuziehen.
     
     
    Überall diese einsamen Hunde  
     
    Schweigen ist einfach, denn daran habe ich mich ja halbwegs gewöhnt. Die Bauern auf dem Feld, an denen ich vorüberziehe, grüße ich wortlos und sie tun dasselbe. Sie scheinen mein Schweigen zu respektieren. Aber mein Denken zu stoppen ist fast unmöglich. In Gedanken stimme ich ständig irgendwelche Lieder an oder denke über zusammenhanglosen Schrott nach: »Wo sind meine Hausschlüssel? Zigaretten kaufen! Kaputte Füße! Hunger auf Kartoffelsalat!«
    Irgendwann schalte ich im Kopf tatsächlich den Denkstrom ab und denke einfach nichts mehr. Einen Weg zu beschreiben, den man ohne Gedanken geht, ist nahezu unmöglich, da man die Dinge nur noch ungefiltert und ohne sie zu bewerten wahrnimmt. Und wertfreies Wahrnehmen lässt sich später kaum schriftlich formulieren.
    Alles wird eins: mein Atem, meine Schritte, der Wind, der Vogelgesang, das Wogen der Kornfelder und das kühle Gefühl auf der Haut. Ich gehe in Stille. Drücke ich während des Wanderns mit meinen Füßen auf den Weg oder drückt der Weg auf meine Füße? Ohne meine Gedanken bin ich ohne Ausdruck und die Landschaft, die Geräusche und der Wind beeindrucken mich nicht. Auch Hässlichkeiten wie eine tote Katze auf dem Weg oder Schönheiten wie die schneebedeckten Gipfel des kantabrischen Gebirges hinterlassen keinerlei Eindruck. Diese totale Abwesenheit von Druck ist ein barmherziger Zustand. Er bringt keinen Spaß, aber auch kein Leid mit sich.
    Und am Ende des Weges stelle ich fest: Wenn ich mich nicht in Wort und Gedanken ausdrücke, beeindruckt mich auch nichts! Weder Wind noch Regen. Wenn man seinen Ausdruck im Denken und Handeln, Sprechen, Singen, Tanzen nicht gelegentlich pausieren lässt, verselbstständigt er sich und das Ergebnis ist die Erzeugung ständigen Drucks.
    Jeder eigene Ausdruck führt zu einem Eindruck bei anderen und der erzeugt in ihnen neuen Ausdruck, der wiederum für einen selbst beeindruckend ist. Wer sich ständig ausdrückt, ist auch immer beeindruckt. So entstehen Ehekräche und Weltkriege. Irgendwann legt dieser ständige Druck jeden lahm. In der Stille herrscht kein Druck. Wenn ich nichts denke, nichts ausdrücke, bin ich aber trotzdem immer noch da. Auf dem Weg treffe ich eigentlich immer wieder nur auf eins:
    Auf mich. Und was ich in Zukunft ausdrücke, werde ich mir noch genauer überlegen als bisher.
    Natürlich verlaufe ich mich ganz fürchterlich. Durch die Stille im Kopf und dieses Nichtsdenken bin ich nach vierzehn Kilometern komplett vom Weg abgekommen. Ich habe ja

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