Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
Verbindung zwischen ihm und mir ist nämlich etwas Eigenständiges.
Um Gott zu begegnen, muss man vorher eine Einladung an ihn aussprechen, denn ungebeten kommt er nicht. Auch eine Form von gutem Benehmen. Wir haben die freie Wahl. Zu jedem baut er eine individuelle Beziehung auf. Dazu ist nur jemand fähig, der wirklich liebt.
Ich werde hier von Tag zu Tag freier und das Hin und Her in meiner Gefühlswelt auf dem Camino ergibt plötzlich einen klaren Sinn. Durch alle Emotionsfrequenzen habe ich mich langsam auf die eine Frequenz eingetunt und hatte einen großartigen Empfang. Totale gelassene Leere ist der Zustand, der ein Vakuum entstehen lässt, das Gott dann entspannt komplett ausfüllen kann. Also Achtung! Wer sich leer fühlt, hat eine einmalige Chance im Leben! Gestern hat etwas in mir einen riesigen Gong geschlagen. Und der Klang wird nachhallen. Früher oder später erschüttert dieser Weg jeden in seinen Grundfesten. Ich weiß, der Klang wird langsam leiser werden, aber wenn ich die Ohren spitze, werde ich diesen Nachhall noch sehr lange wahrnehmen können.
Eigentlich ist mein Camino hier beendet, denn meine Frage ist eindeutig beantwortet. Ab jetzt kann der Weg mir eigentlich nur noch Freude bereiten.
Als ich mir heute das verregnete Astorga ansehe, riecht es die ganze Zeit nach Zimt. Durch die nasse Luft fließt dieser süßlich-pfefferige Geruch durch die ganze Stadt. Nichts rieche ich lieber als Zimt, also versuche ich die Quelle des Duftes zu orten. Zunächst nehme ich an, der Geruch ströme aus einer Bäckerei, doch als ich die betrete, riecht es darin ganz anders. Könnte mir vorstellen, dass Gaudí beim Bau dieses Bischofspalastes in den Fugen Zimtstangen einzementiert hat, denn ich habe den Eindruck, der Geruch kommt aus dieser Richtung. Der Bischofspalast riecht ganz leise nach Zimt.
Auf der Plaza vor dem Rathaus treffe ich Seppi aus Finnland. Wir kennen uns bereits. Gestern haben wir zwei nach meinem Schweigemarsch in Hospital de Orbigo zusammen einen Kaffee getrunken. Jedenfalls ich; Seppi hat einen halben Liter Bier in sich reingeschüttet. Seppi ist eine extrem gut gelaunte, aufgekratzte, glatzköpfige Sportskanone von Anfang vierzig aus Helsinki. Er erzählte mir gestern, dass er seine finnischen Freunde bereits vor sechs Tagen zurückgelassen hätte, denn er laufe am Tag so seine vierzig Kilometer und keiner konnte noch mit ihm Schritt halten. Als ich ihn frage, wie er das denn durchhalte, erzählt er mir, er singe viel, trinke Bier und abends in den Herbergen werde dann ab und zu ordentlich gefeiert und noch mehr gesungen. Und so habe er jetzt einfach mal die spaßigste Zeit seines Lebens. Seppi wankt dann mit viel Bier intus zurück in seine Herberge und grölt noch mal »Hasta luego«, während sein Hut vom Kopf fliegt. Als er weg ist, denke ich: Na, ob das richtig ist, den Weg so zu laufen, wie er das tut? Das Ganze nur als einen Heidenspaß zu sehen?
Heute also treffe ich Seppi auf der Plaza wieder. Durchnässt und ziemlich deprimiert raucht er auf den Stufen des Palastes aus dem 17.Jahrhundert, in dem das Rathaus untergebracht ist, eine filterlose Zigarette.
»Hi, Seppi, was ist los? Warum bist du so bedrückt?«, will ich von ihm wissen.
Er deutet stumm auf seinen rechten Fuß, der dick verbunden ist, und fügt hinzu: »Ich bin heute gestürzt, über einen winzigen Stein, hab ihn nicht gesehen. Hab nicht aufgepasst. Wie kann ich nur so blöd sein? Aber ich hatte Glück! Fünf Minuten hinter mir lief eine deutsche Krankenschwester. Die hatte von der Salbe bis zum Verbandszeug alles dabei. Ist das nicht unglaublich?«
Ich schaue ihn unbeeindruckt an. So ist das eben hier auf dem Camino! Gewundert hätte es mich, wenn ihm nicht geholfen worden wäre. Der liebe Gott scheint Unmengen von Krankenschwestern mit Verbandszeug und Salbe loszuschicken. Jose ist ja auch eine von ihnen!
Da ich nicht angemessen reagiere, wiederholt er den Satz noch mal: »Ist das nicht unglaublich? So ein Glück. Tagelang sehe ich niemanden und dann falle ich hin und da ist eine deutsche Krankenschwester mit Erste-Hilfe-Ausrüstung.«
»Was willst du jetzt machen?«, frage ich ihn und er macht das, was er am besten kann, nämlich sich selber wieder gute Laune: »Morgen geht’s auf jeden Fall weiter.«
Als ich mir seinen geschwollenen Fuß genauer betrachte denke ich nur: »Das wird schlecht möglich sein.« Ich klopfe ihm auf die nasse Schulter und trotte von dannen.
Für Seppi hat der Spaß
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