Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hape Kerkeling
Vom Netzwerk:
aufgehört. Vielleicht muss er wie beim »Mensch-ärger-dich-nicht« Spiel kurz vorm Ziel aussteigen. Man ist siegessicher, freut sich über den eigenen Triumph in der Gewissheit, die anderen geschlagen zu haben, tja, und dann wird man rausgekickt. Spielt man dann weiter oder hört man auf? Wie auch immer man sich entscheidet, man muss bei der nächsten Partie seine Haltung dem Spiel gegenüber ändern, um nicht als Geschlagener das Feld zu verlassen. Die Spielregeln ändern sich nämlich nicht. Es sind nie die anderen, die einen aus dem Feld schlagen, sondern die verdammte eigene Einstellung. Es muss gleichgültig sein, ob man verliert oder gewinnt. Und wenn man siegt, darf man den Sieg einfach nur zur Kenntnis nehmen. Ich hoffe, der Jakobsweg kickt mich nicht aus dem Spiel, denn meine Waden haben sich inzwischen zu zwei steinharten Klumpen verkrampft. Evi ist draußen, aber sie war eine gute Verliererin. Ob Anne es mit ihrem dicken Fuß wirklich bis nach Santiago schafft? Tina alleine? Ein Spanier, den ich gestern in einer Kneipe traf, war total frustriert und den Tränen nahe: »Ich steige aus. Das bringt ja alles keinen Spaß. Ich kann nicht mehr, ich bin müde, ich höre auf.« Ich frage ihn: »Gefällt dir der Weg nicht?« Er schweigt erst und stöhnt dann: »Doch... aber ich will einfach nicht mehr weiter.«
    Später, als ich weiterlaufe, sehe ich ihn in einem Bus sitzen. Matt winkt er mir noch zu.
    Spaß brauchte Seppi nicht, den kann er sich selber machen. Jetzt hängt diese lustige Sportskanone humpelnd in Astorga fest. Ach, der berappelt sich schon wieder!
    Auf dem Camino komme ich mir vor wie in der Schule. Manche Dinge lerne ich spielend und gerne. Wenn ich Glück habe, mag ich den Lehrer auch noch. Dinge, die schwieriger sind oder mir nicht in den Kram passen, weil ich sie nicht verstehe oder der Lehrer blöd ist, werden ausgeblendet.
    Evi war meine Lieblingslehrerin und ich hab eine Menge im Fach Vertrauen gelernt. Tinas Fach war Humor; wenn ich an sie denke, muss ich lachen. Annes hochinteressantes Fach hieß Zweifel. Americo hat mir klar gemacht, dass die Versetzung gefährdet ist, wenn ich nicht endlich in Wut besser aufpasse. Antonio, der Andalusier mit dem Kreuz, sollte mir Gegenwärtigkeit zeigen. Der Mann aus dem Hutgeschäft war zuständig für Herzlichkeit. Gerds trauriges und langweiliges Spezialgebiet war die Resignation. Die Österreicherin Ute, Schnabbels und Bocks zeitweilige Begleiterin, war Expertin in Sachen Konstanz. Die drei Franzosen im Peugeot haben mich zu Aufmerksamkeit veranlasst. Die Deutsche in blauen Unterhosen hat mir eine Lektion in Gelassenheit verpasst. Larissa hat mir eine Stunde in Hingabe erteilt. Victor hat mich in Konsequenz unterrichtet. Stefano in Eitelkeit und Lara in Loslassen. Sheelaghs Fach hieß eindeutig Mut. Jose war eine Meisterin in Veränderung, Vitorio, der Wirt, in Gleichgültigkeit. Claudia, die Brasilianerin, hatte das Fachgebiet Stolz und Seppi, der Finne, lehrte mich Übermut. Ja, und Schnabbel, mein Schatten, war einfach fürchterlich! Ich habe so schlecht aufgepasst, dass ich nicht mal mehr genau weiß, welches Fach sie außer Erdkunde noch unterrichtet hat. Alle meine schwachen Fächer hat jedenfalls sie erteilt und ich muss akzeptieren, dass sie die gestrenge Schuldirektorin war!
    Die vielen Tiere haben mir Fürsorge beigebracht und der Vierzehn-Kilometer-Marsch war ein Crashkurs in Sachen Liebe.
    Während meines Weges hab ich mich immer wieder gefragt, was eigentlich Leiden ist. Am Ende ist Leiden doch ein »Nicht-Verstehen«. Und wenn man etwas nicht versteht, muss man Vertrauen haben. So ist es also manchmal auch unsere Haltung, die uns leiden lässt.
    Morgen beginnt wieder eine härtere Etappe. Es geht langsam durch die Hügel der kargen Maragatería hinauf bis auf eintausendfünfhundert Höhenmeter Richtung Rabanal. Da hinter, in den Montes León, führt leider kein Weg an Foncebadón vorbei! Wohl oder übel muss ich da durch. Vor dem weitgehend verlassenen Bergdorf wird immer gewarnt. Angeblich sollen sich dort viele wilde Hunde herumtreiben, die auch gerne mal im Rudel angreifen. Man soll die Gegend nicht unbedingt alleine durchqueren und auch keine Lebensmittel mit sich führen. Seppi fällt als Partner nun ja leider aus. Den robusten Finnen hatte ich mir gestern schon als potenziellen Wanderkumpanen ausgeguckt. Mal sehen, was sich ergibt.
    Erkenntnis des Tages:
    Das Herz hat immer Recht!

5. Juli 2001 – Rabanal
     
    Als ich heute

Weitere Kostenlose Bücher