Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hape Kerkeling
Vom Netzwerk:
zwei die Köpfe zusammengesteckt haben, um sich wie Bruder und Schwester zu beraten. Encarnación sitzt jetzt neben ihm auf meinem Platz und es sieht ganz danach aus, als würden sie ein längeres Gespräch beginnen.
    Während ich unter der sengenden Sonne langsam weiterlaufe und das Kaff bald hinter mir lasse, bemerke ich: Dieser verrückte Peruaner hat bei mir einen Knoten platzen lassen. Vier Fingerbreit unterhalb des Bauchnabels. Der wollte sich mit mir streiten! Er hat mich absichtlich provoziert und sich das denkbar sensibelste Thema dafür ausgesucht. Denn in vielen Dingen lasse ich mit mir reden, bin durchaus kompromissbereit und gebe auch mal nach. Aber wenn es um den Faschismus geht, habe ich eine feste, unverrückbare, statische Meinung und wer die nicht teilt, kriegt Ärger mit mir.
    Wie kann man nur Michael Ende und Günter Grass neben Hitler stellen? Dieser idiotische Vergleich hat das Ganze noch mal zugespitzt. »Momo« und »Die Blechtrommel« sind aus einer inneren Haltung heraus geschrieben worden, mit der ich mich ganz identifizieren kann – und die zudem zu dem drittgenannten unsagbaren Machwerk in krassem Widerspruch steht. Selbst wenn man noch so irre wäre, könnten einem diese drei Bücher nicht gleichzeitig gefallen.
    Es stünde immer 2:1 für das Gute.
    In der Bar hat sich meine Wut auf einmal in Mut verwandelt. Das geht also!
    Jetzt, wo Americo sich entschlossen hat, nicht mitzukommen, finde ich es fast schade.
    Je stärker ich meine Wut zulasse und sie rauslasse und in Mut verwandle, desto weniger Probleme werde ich wahrscheinlich mit den gelegentlichen Muskelverspannungen am Hals haben. Während des ganzen weiteren Weges bin ich wütend. Kein Wunder, dass ich Gallenkoliken hatte. Wer Wut zurückhält, dem muss die Galle ja überlaufen. Dieser komische Peruaner wollte bei mir das Fass ganz gezielt zum Überlaufen bringen.
    Wie hat er das nur gemacht?
    Ich muss an Evi denken. »Dir werden noch die verrücktesten Dinge auf dem Weg passieren. Trau dich und vertrau dir!«
    Ich traue mich und vertraue mir und habe nicht die geringste Ahnung, wie viele Kilometer ich heute wohl zurückgelegt habe. Aber es waren viele!
    Erkenntnis des Tages:
    Manchmal ist es das Vernünftigste, einfach herrlich verrückt zu sein!

3. Juli 2001 – Astorga
     
    Ich habe irgendwo im Nirgendwo in einem Motel an der Straße übernachtet. Spanien sieht hier langsam aus wie Mexiko! Es wird immer trockener und vor mancher kleinen Hacienda steht auch schon mal ein mannshoher giftgrüner Kaktus. Gestern nach dem Verlassen der Bar bin ich gut und gerne noch mal fünfzehn Kilometer gelaufen.
    Heute Morgen gehe ich runter zum Frühstück – allerdings erst um zehn Uhr, denn ich brauchte wahnsinnig viel Schlaf, weil der Tag gestern mich viel Kraft gekostet hat – und wie so oft bin ich wieder mal der einzige Gast im Restaurant.
    Da kommt der Kellner zu mir und fragt: »Sind Sie Hans Peter aus Deutschland?«
    Ich sage perplex: »Ja.« Und er drückt mir wortlos einen sorgfältig gefalteten Zettel in die Hand. Auf dem steht in Spanisch: »Für Hans Peter aus Deutschland. Vielen Dank und lang lebe Momo!
    Gezeichnet Dein Ruco Urco.«
    Ich frage den Kellner: »Wer hat Ihnen das gegeben?«
    »Keine Ahnung, der Mann hatte nicht mal ’n Rucksack und seine Schuhe waren ganz dreckig, nicht mal die Schnürsenkel waren zugebunden.«
    Americo, mein durchgeknallter Peruaner! Er ist sehr spät gestern Nacht ebenfalls hier abgestiegen, erfahre ich, und er hatte das Zimmer direkt neben mir. Und heute Morgen gegen sechs ist er wieder los und hat mir vorher noch diese Nachricht hinterlassen. »Ruco Urco«, ich lese den Namen noch mal und muss lachen. Klingt wie ein Name aus einem Buch von Michael Ende.
    Auch heute werde ich meine geschundenen Füße und Knie mal wieder zu Höchstleistungen antreiben. Die Temperatur ist dem Himmel sei Dank dramatisch gesunken. Fünfzehn Grad sind es draußen und ein leichter Wind weht. Ein bisschen wie Frühling an der Ostsee. Ein guter Tag zum Laufen. Mein Kopf ist klar und die Wanderlaune groß. Und so nehme ich mir wieder einmal vor, einen außergewöhnlichen Rekord aufzustellen. Alle Grand-Prix-Siegertitel von 1973 bis heute werde ich laut vor mich hinsingen. Dafür habe ich schlappe fünfzehn Kilometer Feldweg Zeit, bevor es wieder auf die Landstraße geht. Immer geradeaus; weitere zwanzig Kilometer bis nach Astorga. Das Singen macht mir viel Spaß und ich höre auch nicht damit auf, wenn ich

Weitere Kostenlose Bücher