Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
kommenden Woche veröffentlichen wird.
Das Wandern macht unglaublichen Spaß, je höher wir kommen, desto spektakulärer sind die Ausblicke, und Anne, die auch einige Zeit an der Universität von British Columbia in Vancouver gearbeitet hat, fühlt sich genau wie ich in die kanadische Bergwelt versetzt. Sicher, die Gipfel sind hier nicht halb so hoch, aber auf dem Camino bewegen wir uns langsam auf die beeindruckendsten Landschaften zu.
Müde und abgekämpft erreichen Anne und ich am frühen Abend zunächst Rabanal. Tibet kenne ich nur von Bildern, aber ich finde, dass es hier so ähnlich aussieht, wie ich mir Tibet vorstelle. Anne überrascht mich kurz darauf mit der Bemerkung, dass es hier fast so aussähe wie in Nepal, und im Gegensatz zu mir hat sie jenes Land wirklich bereist. Also kann man mutig behaupten: In Rabanal schaut es fast so aus wie in Nepal, nur liegt der spanische Ort tiefer, viel tiefer!
Während ich in einem rustikalen Gasthof einkehre, der übrigens fast ausgebucht ist, entscheidet sich Anne für die ebenso volle Pilgerherberge neben der kleinen grauen Steinkirche.
Erkenntnis des Tages:
Es war gut, alleine zu wandern, aber jetzt reicht’s!
6. Juli 2001 – Rabanal
Gestern Abend haben Anne und ich in meinem rustikalen Gasthof ein deftiges Pilgermenü vertilgt. Die dunkle tirolerartige Stube ist brechend voll und bei viel Rotwein geht es in dem gedrungenen Gewölbe zünftig zu. Allerdings habe ich beschlossen, bis zum Schluss der Pilgerreise komplett auf Alkohol zu verzichten. Was Anne allerdings sehr bedauert. Aber mir kann das nicht schaden.
Am Nachbartisch sitzen zwei jüngere schwäbische Ehepaare, die die ganze Zeit zwar freundlich, aber doch unübersehbar zu mir herüberstarren und immer wieder leicht verlegen kichern. Anne ist dadurch ein wenig irritiert und fragt zweifelnd: »Bilde ich mir das ein oder starren die uns die ganze Zeit an. Was soll das? Was haben wir denn an uns, dass die immer so glotzen und so doof grinsen?« Ahnungslos zucke ich mit den Schultern, denn ich habe keine Lust, ihr zu erklären, dass meine Show, die sie in England zufällig mal im Nachtprogramm gesehen hat, in Deutschland zur besten Sendezeit von Millionen Menschen gesehen wurde. Sie hält mich wahrscheinlich für einen aufstrebenden Geheimtipp aus der deutschen Provinz und so soll es meinetwegen auch ruhig bleiben. Irgendwann wird sie schon von ganz alleine merken, was ich genau treibe, aber das hat noch Zeit und in der können wir zwei uns vielleicht erst noch ein bisschen besser kennen lernen.
Als Anne auf die Toilette geht und ich alleine am Tisch sitze, nutzen die Süddeutschen ihre Chance, stürzen zu mir herüber und bitten mich höflich um Autogramme, welche ich natürlich in meinem Rucksack nicht mitführe. Also male ich rasch ein paar signierte Karikaturen auf Bierdeckel in der Hoffnung, die Sache vor Annes Rückkehr zügig beendet zu haben. Das gelingt mir nur fast, denn als ich gerade die letzte Unterschrift hektisch zu Ende krakele, steht Anne schon wieder neben mir und macht große Augen. Die Herrschaften bedanken sich bei Anne und mir mit Handschlag und treten geordnet den Rückzug auf ihre Plätze an. Anne schaut ihnen fasziniert hinterher: »Was wollten die denn jetzt hier?« Ich bleibe beim Notlügen: »Nichts! Eine Wegbeschreibung!« Annes Gesichtszüge entgleiten ihr wieder so wie dereinst in Santo Domingo: »Was für eine Wegbeschreibung? Du kennst dich hier doch gar nicht aus oder warst du doch schon mal hier?« Richtig, das war eine unglaublich blöde Antwort, und ich lüge tüchtig weiter, wo ich schon mal gerade in Fahrt bin: »Nein! Eine Wegbeschreibung in Deutschland meine ich! Das sind ja Deutsche. Aber das ist doch jetzt auch egal. Das waren doch ganz höfliche Leute.« Das findet Anne nun gar nicht: »Höflich!? Übertrieben höflich ist das, wenn man sich mit Handschlag verabschiedet, um sich dann drei Meter weiter wieder hinzusetzen. Oder seid ihr in Deutschland alle so drauf?« Das Thema ist allerdings bald vom Tisch und ich komme noch mal ungeschoren davon.
Heute Morgen, als wir uns zum Frühstück in meinem Gasthof wiedertreffen, haben weder Anne noch ich wirklich Lust weiterzumarschieren, denn das wie eine Miniaturausgabe der chinesischen Mauer auf dem 1100 Meter hohen Berg haftende Rabanal ist sagenhaft schön und eine Pause im Wanderprogramm heißen wir beide jederzeit herzlich willkommen; das haben wir uns bis jetzt allerdings noch nicht gegenseitig
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