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Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hape Kerkeling
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eröffnet und so zieht jeder das Frühstück künstlich in die Länge und versucht dem anderen den Wandertag so madig wie möglich zu reden, ohne aber das Wort »bleiben« auch nur anzudeuten.
    Anne wirkt auf mich wie eine bienenfleißige Pilgerin, die tapfer täglich ihr Pensum absolviert, und durch meinen ges trigen Alkoholverzicht hält Anne mich für einen Asketen, der ein strammes Wanderprogramm durchaus zu schätzen weiß.
    Ein absurdes Aneinandervorbeireden entspinnt sich, das ich gänzlich blöde beginne, indem ich den wolkenlosen Himmel betrachte und lüge: »Oh, oh, das sieht für mich heute aber nach Regen aus.« Keiner kann in England sein Gesicht so angewidert verziehen wie Anne: »What? Regen? Wir werden heute während der Wanderung wahrscheinlich umkommen vor Hitze. Es soll ja jetzt auch immer heißer und heißer werden!«
    Eine ganze Weile geht es hin und her, bis wir beide unseren vierten Milchkaffee bestellen und fast gleichzeitig sagen: »Bitte! Lass uns hier bleiben!« Da Anne ihr refugio nach einer Nacht verlassen muss, wechselt sie schnell in ein anderes am Ortsausgang und ich miete mein Zimmer einen weiteren Tag. Heute vertrödeln wir bei schönem Wetter den Tag mit Spaziergängen und Besichtigungen. Vielleicht kommt Sheelagh ja auch heute schon hier an und dann freut sie sich sicher, uns zu sehen.
    Gestern auf dem Weg nach Rabanal überkam es mich: Ich erzähle Anne die Story von meinem abstrusen Schamanen Ruco Urco aus Peru. Anne schaut mich die ganze Zeit über zweifelnd an und sagt am Ende skeptisch: »Sorry Hans! Ich mag dich und die Geschichte ist wirklich sehr interessant, aber überhaupt nicht glaubwürdig.«
    Da ich nun einmal weiß, dass die Story der Wahrheit entspricht, beharre ich darauf: »Doch! Glaub mir, der Typ existiert und alles ist haargenau so passiert, wie ich es dir schildere!«
    Anne gegenüber komme ich mir danach total naiv vor, denn wenn ich mich die Geschichte erzählen höre, finde ich ja selbst, dass sie erfunden klingt, und ich würde sie auch nicht glauben, wenn sie mir nicht genauso passiert wäre! Ein bisschen ärgere ich mich auch über mich, weil ich Anne die Geschichte überhaupt brühwarm erzählen musste und sie mich jetzt für bescheuert hält, wahrscheinlich. Es bleibt ihr ja gar nichts anderes übrig und dabei wusste ich doch, dass sie dazu neigt, an allem zu zweifeln. Meinen Mund hätte ich halten sollen!
    Heute bei einem Nachmittagskaffee bringt Anne das Thema dann wieder aufs Tablett mit dem Satz: »Do you really believe in this Ruco Urco story?«
    Soll ich leugnen? Nein, also erzähle ich ihr die Geschichte noch mal, aber je öfter ich sie erzähle, desto bescheuerter klingt sie, also habe ich Anne gesagt, dass es besser sei, das Thema einfach auszuklammern. Drop the thought!
    Mein Gott, ich wünschte, dieser zahnlose Typ würde hier aufkreuzen, dann hätte ich einen lebenden Beweis, den ich Anne demonstrieren könnte. Den Tag über schwebt diese komische Geschichte dann leicht unbehaglich zwischen uns.
    Gegen Abend ruft die kleine Glocke der winzigen Dorfkirche zur Pilgermesse. Anne und ich wollen die Fortsetzung unserer Pilgerreise zur Sicherheit noch einmal segnen lassen und begeben uns müde in das dunkle mittelalterliche Gotteshaus. Die Pilger drängen sich und nur ganz vorne und in der hintersten Reihe sind noch einige Plätze frei. Die kleine Engländerin will vorne sitzen und ich, da mir vorne zu viele Deutsche sitzen, lieber hinten bei ein paar alten Einheimischen; so teilen wir uns einfach auf. Nach und nach füllt sich die Kirche bis auf den letzten Platz.
    Während die Gemeinde wenig später einen feierlichen Choral anstimmt, wird die alte Holztür hinter uns rücksichtslos laut aufgerissen und ebenso donnernd wieder ins Schloss geworfen. Ich drehe mich unwillkürlich verärgert um. Und habe definitiv eine Erscheinung.
    Ruco Urco tapert wackelig auf seinen wunden Füßen in seinen offenen Designerschuhen durch das Kirchenschiff direkt auf den Altar zu. Das gibt es nicht! Wie hat er das nur geschafft!? Mein Körper wird von einer sich blitzartig ausbreitenden Gänsehaut geweckt. Wie von der Tarantel gestochen versuche ich, Anne wilde Zeichen zu geben, und deute mit dem Finger auf den sonderbaren Mann, während ich laut flüstere: »That’s him! Das ist er!«
    Anne scheint nicht zu begreifen und hält nur ihren Zeigefinger mahnend vor den Mund: »Pscht!«
    Americo hält indes nach einem nicht mehr vorhandenen freien Platz Ausschau und

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