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Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hape Kerkeling
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damit er nur auf gar keinen Fall darüber nachdenkt, die Kirche wieder zu verlassen, winke ich ihn mit peinlich lauten »Huhu«-Rufen zu mir und zwinge die spanische Oma neben mir, sich noch kleiner zu machen, als sie ohnehin schon ist. Ruco Urco erkennt mich und strahlt so glücklich wie ein kleines Kind, das seinen verlorenen Papa wiedergefunden hat. Umgehend quetscht er sich tollpatschig in meine Reihe und als die Oma neben mir erfasst, was für einen schrägen Vogel ich da mit großer Geste zu uns eingeladen habe, hat auch sie, ihrem weit geöffneten Mund nach zu urteilen, ihre erste Vision.
    Ruco Urco hockt sich neben mich und, ich kann nicht anders, ich umarme ihn, obwohl er nicht nur nach Schweiß, sondern auch nach ziemlich viel Alkohol müffelt. Die Oma neben uns versucht demonstrativ sich durch flinke Fächerbewegungen der Hand Erleichterung zu verschaffen und Americo fällt mit einer schönen Bassstimme schlagartig in den spanischen Choral ein. Nach dem Gesang beginnt der Priester mit seiner Predigt und ich muss über den angeheiterten, leicht hicksenden Peruaner lachen und schlage ihm gegenüber einen ironisch strengen Ton in Spanisch an: »Du kannst doch nicht betrunken zur Messe gehen!«
    Darauf antwortet er mir wieder in bestem Deutsch: »Ich bin beschwipst.«
    »Du sprichst also doch Deutsch!«, will ich ihn nun endgültig in meiner Muttersprache festnageln. Aber schon ist er mit den Gedanken wieder ganz woanders und tut so, als hätte er nie etwas auf Deutsch zu mir gesagt und lallt fast geistesabwesend in Spanisch: »No.«
    Nach der Messe eile ich mit ihm gemeinsam vor die Kirche auf den grob gepflasterten Platz und halte ihn sanft, aber dezidiert am speckigen Hemdsärmel fest. Auf keinen Fall darf er mir entwischen, bevor Anne ihn kennen gelernt und er ihr die ganze Geschichte haarklein erklärt hat. Wir bauen uns direkt vor dem kleinen Portal auf. Ruco Urco fängt plötzlich an zu weinen wie ein kleines Kind und beschwört mich immer wieder: »Mi ángel! Tu eres mi ángel! – »Mein Engel! Du bist mein Engel! Auch den Leuten, die aus der Kirche kommend an uns vorbeiziehen, muss er diese angeheiterte Information mit auf den Heimweg geben.
    Als Anne endlich aus dem Portal tritt, rufe ich ihr auf Englisch entgegen: »That’s him! Das ist er! Ruco Urco!« Und fühle mich ganz so, als hätte ich einen richtig dicken Fisch an der Angel. Anne bleibt wie angewurzelt vor ihm stehen und ich deute ihr spontanes Entsetzen komplett falsch, denn sie stellt nur kühl fest: »Das ist nicht Ruco Urco! Das ist Jorge aus Ecuador!«
    Interessant.
    Unmittelbar danach vervollständige ich seine Angaben zur Person: »Das ist Americo aus Peru genannt Ruco Urco. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter!«
    »Auch falsch!«, feixt Anne. »Er hat einen Sohn! Das hat er mir jedenfalls erzählt!«
    Americo, Ruco Urco oder Jorge, wie auch immer die südamerikanische Dreifaltigkeit heißt, versucht sich aus der leicht beklemmenden Situation herauszuwinden, indem er behauptet, alles wäre an sich und eigentlich richtig. Er habe zwei Töchter in Peru von seiner aktuellen Frau und einen Sohn in Ecuador von seiner geschiedenen Frau. Gebürtig sei er zwar aus Ecuador, später sei er aber zu den Indios nach Cusco in Peru gegangen. Daraus soll einer noch schlau werden.
    »Wer bist du wirklich?«, ist hier die einzig passende Frage. Anne erzählt mir hinter vorgehaltener Hand auf Englisch, dass sie mit Jorge wegen ihres FC-Barcelona-T-Shirts auf dem Weg aneinandergeraten sei. Was genau passiert ist, will sie mir aber nicht erzählen, da es eine ähnlich schräge Story wie meine sei. Ach, guck an.
    Mittlerweile steht der Südamerikaner, wie ich ihn jetzt unverfänglich betitele, denn das ist er dem Akzent nach zweifelsfrei, wieder heulend vor uns und jammert, man habe ihn im refugio abgelehnt, da er keinen Rucksack dabei habe und somit ein Obdachloser und kein Pilger sei. Er zeigt mir stolz wie ein Erstklässler am ersten Schultag seinen goldfarbenen Pilgerpass, den er sich auf mein Anraten besorgt hat und in dem eindeutig der Name Jorge steht und als sein Herkunftsland in der Tat Ecuador angegeben wird.
    »Wer im Besitz eines Pilgerpasses ist, den dürfen die refugios gar nicht ablehnen, es sei denn, alle Betten sind belegt!«, kläre ich ihn auf.
    »Das ist absolut richtig«, unterstützt mich Anne in ihrem brillanten Spanisch und bedeutet uns, ihr in die Pilgerherberge zu folgen. Mit »Let’s go!« treibt sie uns in das graue

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