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Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hape Kerkeling
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konntest du mit so jemandem auch nur einen Tag zusammen laufen?«, rutscht es mir heraus.
    Anne ist wütend auf sich selbst: »Gosh! I guess I am stupid!«
    Danach war Anne mit zwei Gays aus London gemeinsam unterwegs. Das sei zwar sehr witzig gewesen, aber die beiden seien ständig auf der Suche nach Sex gewesen und das sei ihr gehörig auf den Keks gegangen und sie sei mehr als froh gewesen, als die beiden sich endlich dazu entschlossen hätten, den Camino aus Sexmangel abzubrechen und nach Madrid »for some sex« zu fliegen.
    »Don’t tell me you are looking for some sex?«, will sie ein letztes Mal kritisch prüfend in Erfahrung bringen und ich kann sie mit meiner Antwort »Not today!« einigermaßen beruhigen.
    Und nun: Seit einer Woche sind ihr zwei ältere Franzosen namens René und Jacques aus Reims auf den Fersen und tätscheln ihr bei jeder Gelegenheit übers kurze Haar und das Fußball-T-Shirt und wollen sie auf coffee or tea einladen, denn das sind die einzigen englischen Worte, die sie beherrschen. Immer wieder wollen sie die kleine Engländerin mit Händen und Füßen auf eine gemeinsame Übernachtung einladen. Typen gibt’s! Aber logischerweise ist der Camino keine sexfreie Zone und in so manchem refugio geht es natürlich hoch her.
    Auf dem weiteren Weg lachen wir zwei unglaublich viel über Nachtschichtpilger, zählende Nonnen, meinen verrückten peruanischen Schamanen und andere Wallfahrer kuriositäten. Es macht uns beiden höllischen Spaß, unsere Sätze mit unerwarteten Schlusspointen zu würzen, und so unterhalten wir uns gegenseitig königlich. Natürlich erzählen wir uns frei von allen Schranken viele Dinge aus unserem Privatleben, aber da das nun mal wirklich privat ist, soll es das auch hier bleiben. Die Liverpoolerin ist witzig, herzlich, bissig, scharfsinnig, ein bisschen gutgläubig und sehr gebildet.
    Sie war acht Monate lang im nordindischen Daramsala, wo der Dalai Lama sich im Exil aufhält, für den Englisch-unterricht der Mönche zuständig, während sie im Gegenzug von einem Rinpoche in den buddhistischen Lehren geschult wurde. Das, was ich über den Buddhismus bisher gelesen habe, ist Kinderkram im Vergleich zu ihrem Erfahrungsschatz, den sie nun freigiebig mit mir teilt. Auch deshalb ist es hochinteressant, sich mit Anne auszutauschen. Ihre wichtigste Lehre aus den acht Monaten ist allerdings ein ganz einfacher Satz des Dalai Lama: »Drop the thought!« Lass den Gedanken fallen! »Sobald dich etwas im Job oder sonst wo plagt, lass den Gedanken einfach fallen. Kaue nicht auf ihm herum, denn nur so erlöst du ihn!«
    Die Liverpoolerin war dann auch noch beruflich in Nepal, Afghanistan, Mittelamerika, Florida und Kanada unterwegs. 1989 hat sie in Ostberlin ein mehrmonatiges Universitätspraktikum absolviert und in Kleinmachnow gelebt. Wenn sie das mit ihrer rauchigen Stimme und englischem Akzent ausspricht, mache ich mir fast in die Hose vor Lachen. Kläinmäckchgnou!
    Ihr gebrochenes Deutsch ist gar nicht schlecht, mit dem Verstehen hapert es nach zwölf Jahren ohne Praxis aber dennoch gewaltig. Wenn ich aber in Zeitlupe zu ihr spreche, versteht sie zumindest den Inhalt.
    Ich erzähle Anne, dass ich Tagebuch schreibe und heute bei Seite dreihundertsiebenundfünfzig angelangt sei und auch sie dort vorkomme. Anne ist begeistert und will sofort wissen, was ich bisher über sie geschrieben habe. Als ich ihr wahrheitsgetreu davon berichte, schüttelt sie nur den Kopf und beschwert sich: »Es ist immer dasselbe! Wenn Menschen mich kennen lernen, finden sie mich erst mal unfreundlich! Am I that rude?«
    Ob sie wirklich so ist? Zögernd nicke ich und sie schnauft kurz. Auch sie will ein Buch schreiben, aber sie meint, es fehle ihr an Durchhaltevermögen. Das überrascht mich kolossal: »Du bist schon so weit gelaufen, wenn das kein Durchhaltevermögen ist! Schreib es einfach für dich auf.« Annes Humor und wie sie die Dinge sieht, sind wundervoll. Am liebsten möchte ich sie klauen und mitnehmen. Die Liverpoolerin pilgert übrigens für einen guten Zweck. Ihre Schwester leidet an Morbus Crohn, einer schweren chronischen Erkrankung des Magen-Darm-Traktes, die nicht optimal behandelbar ist, da sie nicht ausreichend erforscht ist.
    Um Geld zur Erforschung dieser Krankheit zu sammeln, berichtet eine Zeitung aus Birmingham wöchentlich über Annes Wallfahrt und ruft zu Spenden für die Stiftung auf. Anne macht natürlich sofort einen Schnappschuss von uns, den die Birminghamer Zeitung in der

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