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Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hape Kerkeling
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aber dadurch kann ich der Entwicklung der Auseinandersetzung fast noch besser folgen. Mir bleiben nur die Mimik und die Stimme als Gradmesser für den jeweiligen Zustand der beiden Sparringspartner. Annes Problem sind eindeutig Nervosität und Unbeherrschtheit. Ruco Urco spielt die Aufregung lediglich und ist mimisch vollkommen entspannt. Die Liverpoolerin ist kurz davor, dem Südamerikaner ihr Glas Wein ins Gesicht zu schütten.
    Jorge hat Annes Schwachpunkt voll erkannt und stößt sie nun mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln darauf. Ihre Reaktion auf das Fußballgespräch ist unverhältnismäßig gereizt. Sie hat schwache Nerven und kann sich nicht beherrschen. Noch ein Satz und er bekommt von ihr die Ohrfeige, die eigentlich mir zugedacht war. Sie findet ihn anmaßend und das ist der vorwitzige Scharlatan auch, aber vielleicht ist das seine Art, sich bei uns zu bedanken!? Er seziert uns genau und schenkt uns sein Untersuchungsergebnis. Klar, er wirkt wie ein Spinner oder Hochstapler. Vermutlich weiß er selber gar nicht so genau, was er da gerade anrichtet. Aber egal warum er es tut, er hilft Anne und früher oder später wird sie es merken.
    Der Abend eskaliert zusehends und ich schlage vor, den Nachtisch ausfallen zu lassen, obwohl ich ziemlich scharf gewesen wäre auf die hausgemachte crema catalán .
    Vor der Kirche verabschieden Anne und ich uns von Ruco Urco und er sagt überzeugt: »Ihr seid sicher froh, jetzt vor mir Ruhe zu haben, was?« Lachend wackelt er zu seinem Bett und Anne und ich machen unsere fünfte Dorfbegehung am heutigen Tag. Wir reden nicht mehr viel. Anne kommentiert nur noch beiläufig: »Der Typ ist ein übler Quacksalber... trotzdem war ich definitiv zu nervös!«
    Erkenntnis des Tages:
    Manchmal meinen es auch die nervigsten Menschen gut mit uns!

7. Juli 2001 – Foncebadón und El Acebo
     
    Heute Morgen sind meine englische Wanderbekannte und ich recht früh auf den Beinen und machen uns guter Stimmung auf den Weg. Ulkig, dass sie und ich exakt ab der Etappe gemeinsam laufen, vor der ich seit Beginn der Pilgerreise Angst hatte. Hohe Anstiege in absoluter Einsamkeit und dazu die streunenden Hunde der Geisterstadt Foncebadón. Von Anfang an wollte ich diese Strecke unter keinen Umständen alleine laufen. Mit jedem wäre ich sie gelaufen, aber dass ich sie jetzt mit Anne laufe, ist großartig!
    Als wir uns allmählich dem Geisterdorf Foncebadón nähern, halten wir unsere Stöcke schlagbereit. Vor unseren geistigen Augen lauern uns Hunderte von wolfartigen Hunden auf, gegen die wir nicht den Hauch einer Chance haben. Früher gab’s hier rudelweise Wölfe und Wegelagerer. In meiner Vorstellung ist der fiese Wolfhyänenbär aus Calzadilla de la Cueza der unerschrockene Anführer! Es ist schon ein mulmiges Gefühl, erschöpft durch einen einsamen, dichten Wald immer bergauf zu klettern mit einem Ziel, vor dem so ausdrücklich gewarnt wird. Aber zu zweit ist es erträglich. Tatsächlich erhaschen wir dann nach etwa anderthalb Stunden auf einer Anhöhe einen ersten Blick auf die steinigen dunklen Ruinen von Foncebadón.
    Als wir kurz darauf mitten in der Phantomsiedlung stehen, nähert sich uns zögerlich ein ausgemergelter aschgrauer Hund von der Größe eines Terriers. Das Tier ist schwach und krank und hungert vor allem nach einer Streicheleinheit.
    Die wenigen anderen streunenden Hunde, die ängstlich aus den Ecken gekrochen kommen, entpuppen sich ebenso als harmlose, nach Zuwendung gierende Wesen, die einem eher das Gefühl von Schutz vermitteln. Hübsche Mischlinge mit guten Absichten kreisen uns freudig bellend und schwanzwedelnd ein. Die Geschichte von den bösen Hunden von Foncebadón ist eine Mär! Zumindest was Anne und mich betrifft. Keine Ahnung, was die mit einem verängstigten Nachtschichtpilger anstellen.
    In einer der höhlenartigen Ruinen gibt es wider Erwarten ein nettes verwunschenes Restaurant, das erst seit einer Woche geöffnet ist. »La Taberna de Gaia« heißt die Einrichtung, gekocht werden Gerichte aus dem Mittelalter, alle Zutaten sind frisch, sogar das Wasser holen sie sich hier aus einem eigenen Brunnen. Mutter und Tochter stehen in mittelalterlichen Gewändern vor einem alten Kamin und brutzeln deftige Mahlzeiten. Während wir mit den beiden gesprächigen Damen ins Plauschen geraten, stelle ich nüchtern fest, dass im Vergleich zum kultivierten Hochschulspanisch meiner englischen Frau Doktor mein Alltagsspanisch nicht der Rede wert ist. Ihre Zeit

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