Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
in Nicaragua bei den Feldmäusen hat sie voll genutzt!
Nach der Pause stapfen wir in Richtung El Acebo, einem der nächsten Höhepunkte der kantabrischen Bergwelt. Es ist ein großartiger Marsch bei gesunden Temperaturen und zwischendurch halten wir beide immer wieder inne und genießen das majestätische Bergpanorama. Annes Ausführungen über den tibetischen Buddhismus lausche ich gebannt und gleichzeitig völlig unangestrengt, denn sie passen so einmalig in diese Landschaft.
Der Weg ist still und einsam und außer uns sind anscheinend keine anderen Pilger unterwegs. Nach etwa einem Drittel unseres heutigen Caminos erreicht man auf einer Anhöhe eine selbst gezimmerte albergue . Kaum nähern wir uns, läutet schon die Glocke Sturm. Wenn sich ein Pilger nähert, erfahren wir später, wird das durch das Läuten angekündigt. Der bunt bemalte Bretterverhau lädt zur kurzen Rast ein und selbst gebastelte und von Hand bemalte bunte Wegweiser machen auf die Entfernungen nach Berlin, Jerusalem, Rom, New York, Buenos Aires und Sydney aufmerksam.
Falls sich ein Pilger zwischendrin mal wieder etwas weiträumiger orientieren möchte:Wegweiser in alle Welt
Man wird freundlich von einem jungen Hippie-Ehepaar begrüßt mit dem frommen Wunsch, der innere Jesus möge auf dem Weg in einem erwachen. Darf es vielleicht ein bisschen weniger sein, denke ich. Denn hinter der Hütte gibt es einen armen Schäferhundwelpen, den sie an einer ein Meter kurzen Kette in der prallen Sonne festgeknebelt haben. Der Hund ist kurz vor dem Verdursten und Verhungern. Vor ihm liegt eine rostige Blechdose, in der vermutlich mal etwas zu fressen gewesen sein muss, so verzweifelt, wie er daran leckt. Da der innere Jesus in mir gerade tatsächlich voller Wut nach oben geklettert kommt, bitte ich die Frau streng, aber höflich um eine Plastikschüssel. Mit einem Fragezeichen auf der Stirn händigt sie mir diese auch aus und ich fülle sie bis zum Rand mit Wasser, das in einer Viehtränke quasi nur darauf wartet, getrunken zu werden, und gebe dem Hund endlich, was er schon lange schmerzlich vermisst. Das Tier säuft daraufhin literweise Wasser. Auf meine Nachfrage, ob der kleine Kerl heute schon etwas gefressen habe, bekomme ich die lapidare Antwort: »Nein! Zu fressen haben wir im Moment nix da!« Warum das Tier an der Kette hänge, forsche ich nach: »Der läuft sonst weg!«, ist die verblüffende Begründung. Klar, wenn er schlau ist!
Diese Leute sind schlicht Heuchler. Wie kann man ständig das verzweifelte Jaulen eines geschundenen Lebewesens im Ohr haben und derweil Pilgern ernsthaft wünschen, sie mögen den inneren Christus in sich entdecken. Die hier haben ihn garantiert nicht für sich entdeckt. Überall hängen Kreuze und Bilder von Maria an ihrer scheinheiligen Holzhütte. Diese Leute kotzen mich an! Die Amerikaner und Australier, die später vor dieser Bruchbude zu uns stoßen, finden nur Worte der Bewunderung für die einfältigen Blumenkinder. Ich frage unsere Mitpilger daraufhin, ob sie den kleinen Hund an der Kette gesehen hätten, der da ohne Wasser vor sich hinwinselt? »Oh yes, it’s so cute.« Süß sei der, finden diese oberflächlichen Hobbywallfahrer. Der Ort sei himmlisch und die Leute seien ganz wundervoll. Idioten! Hoffentlich erbarmt sich irgendwann jemand des Tieres und schleppt ihn hier weg. Am liebsten würde ich ihn selbst mitnehmen, aber ich kann doch hier kein Hundebaby klauen.
Als Anne und ich nach einer guten Stunde weiterpilgern, ist der Hund todtraurig darüber und schaut uns noch länger winselnd hinterher. Es braucht einige Zeit des stillen Wanderns, bis ich mich vom Anblick der leidenden Kreatur wieder erholt habe und leider erkennen muss: Es war falsch, das Tier dort zu lassen.
Ich hätte meinem starken Impuls einfach nachgeben sollen. Die überforderten Hippies wären garantiert froh gewesen das jaulende Baby loszuwerden, und ich hätte mich über einen weiteren kleinen frechen Wanderfreund gefreut. Das ist und bleibt jetzt erst mal ärgerlich.
Anne versucht mir klar zu machen, dass ein Weiterpilgern mit dem Hund unmöglich geworden wäre und ich demnach absolut richtig gehandelt hätte. Ich erkläre ihr im Gegenzug, dass ich mich täglich den neuen Anforderungen des Weges stellen wolle und es heute im Prinzip eine kinderleichte Aufgabe gewesen sei, die lautete: Nimm den Hund mit!
Und wenn das in letzter Konsequenz bedeuten würde, die Reise abbrechen zu müssen, dann sei das eben so.
Mein
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