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Ich bin dein, du bist mein

Ich bin dein, du bist mein

Titel: Ich bin dein, du bist mein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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die meisten Herrschaften, die ihren Hund spazieren führen, sind nicht mein Fall. Ist dir schon mal aufgefallen, dass viele Hunde ihrem Herrchen ähneln? Ganz im Ernst. Das hab ich früher nie geglaubt, aber es stimmt.
    Liebe Grüße
    Judith
    Von: [email protected]
    An: [email protected]
    Betr.: Stubenrein
    Dann frage ich mich, wie du aussiehst, meine liebe Judith. Irgendwie kann ich mir das Gesicht eines Beagles nur schlecht bei einer Frau vorstellen. Falls du verstehst, was ich meine. Und ganz ehrlich: Wenn ich Ähnlichkeit mit einem Hund hätte, dann wohl eher mit einem Border Collie. Und das auch nur vom Charakter her. Ich bin ein Arbeitstier. Wollen wir chatten? Hast du Lust?
    Judith runzelte die Stirn und lächelte. Ihr gefiel Gabriels lockere Art und seine Selbstironie. Außerdem hatte sie etwas Zeit, und sie wollte nicht wieder mit Kim telefonieren, zumal ihre Freundin ohnehin bei Niels war. »Ach, was soll’s«, murmelte sie. Sie hatte Lust auf eine Unterhaltung und Gabriel schien in diesem Moment der beste Partner für einen unverbindlichen Plausch zu sein.
    Von: [email protected]
    An: [email protected]
    Betr.: Stubenrein
    Ich habe einen Skype-Account. Schick mir einfach eine Anfrage.
    Sie drückte auf das blaue Icon und Skype fuhr mit diesem seltsam seufzenden Ton hoch. Es dauerte keine Minute und die Anfrage traf ein.
    Judith: Musst du nicht arbeiten?
    Gabriel: Doch, eigentlich schon. Aber ich lass mich gerne ablenken.
    Judith: Ich kann aber nicht lange chatten. Muss noch etwas für die Schule erledigen. Das Abitur steht an.
    Gabriel: Panik?
    Judith: Nicht unbedingt. Ich würde es erwartungsfrohe Spannung nennen.
    Gabriel: So schlimm?
    Judith: Schlimmer.
    Gabriel: Du Arme. Aber glaub mir, wenn du’s erst mal hinter dir hast, wirst du dich erleichtert fühlen.
    Judith: Das hoffe ich. Zu irgendwas muss die ganze Plackerei ja gut gewesen sein.
    Gabriel: Schon eine Vorstellung, was du machen willst, wenn du fertig bist?
    Judith: Nein, nicht unbedingt. Vielleicht fahre ich erst noch mal in Urlaub, keine Ahnung.
    Gabriel: So eine Art Sabbatical.
    Judith: Ja, ich glaube, so nennt man das. Ich habe ein bisschen was gespart. Mal sehen, wo es hingeht.
    Gabriel: Eine gute Idee. Hätte ich vielleicht damals auch machen sollen.
    Judith: Warum? Macht dir das Programmieren denn keinen Spaß?
    Gabriel: Na ja, ich will mich nicht beklagen. Finanziell bin ich abgesichert, aber ich würde mir auch gerne mal eine Auszeit gönnen.
    Judith: Dann tu es doch. Wer hindert dich daran?
    Gabriel: Ich mich selbst. Ich kann nicht Nein sagen. Wasmeinen Job angeht, bin ich für die nächsten zwei Jahre ziemlich ausgelastet.
    Judith: Das tut mir leid.
    Gabriel: Ach, mein Mitleid für mich selbst hält sich in Grenzen.
    Es trat eine kurze Pause ein, die Judith ein wenig nervös machte. Sie wusste nicht, was sie schreiben sollte. Eigentlich chattete sie ungern, und wenn, dann auch nur mit Leuten, die sie gut kannte. Umso erstaunlicher war es, wie vertraut der Ton zwischen Gabriel und ihr in so kurzer Zeit geworden war.
    Gabriel: Ich glaube, ich muss etwas tun. War schön mit dir.
    Sie zögerte einen Moment, dann tippte sie:
    Judith: Das können wir gerne wiederholen.
    Gabriel: Dann werde ich Ausschau nach dir erhalten. Einen schönen Tag noch. Und grüß mir deinen Hund.
    Judith: Der Gruß geht selbstverständlich zurück an von Richthofen.
    Gabriel: Bis dann.
    Judith: Bis dann.
    Gabriel ging offline und Judith lehnte sich ein wenig benommen in ihrem Stuhl zurück. Was zum Teufel war da gerade geschehen? Sie hatte mit einem wildfremden Typ gechattet und es genossen. Gabriel schien viel selbstbewusster als Jan – unabhängig, ruhig und locker. Er konnte über sich selbst lachen, gab seine Schwächen offen zu, ohne dass er sich dafür schämte.
    Judith atmete langsam aus und strich sich die roten Locken aus der Stirn. Wo war eigentlich das Problem? Sie hatte sich von Jan getrennt und konnte tun und lassen, was sie wollte. Sie hatte nichts zu verlieren. Gabriel wusste nicht, wer sie war, kannte sie nur aus den wenigen Mails und dem Chat, den sie gerade geführt hatten. So gesehen stand sie auf der sicheren Seite. Judith überflog noch mal den Wortwechsel. Schade, hätte gut noch weitergehen können. Sie spürte ein leichtes Kribbeln im Bauch.

    Sie ist an einem Dienstag gestorben. Man lässt ihn nicht zu ihr. Der Anblick sei nichts für einen Jungen von zwölf Jahren, sagt sein Vater in jenem kalten Ton, der keinen Widerspruch

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