Ich bin dein, du bist mein
der wie dieCafeteria eines Altersheims aussah. Die Wände waren weiß gestrichen und es gab einen Automaten für Tee und Kaffee und einen für Softdrinks. Jeweils vier Stühle standen um acht quadratische Tische und es fehlten eigentlich nur noch kleine Vasen mit Plastikblumen. Sie war die einzige Besucherin.
Nach zehn Minuten wurde Jan hereingeführt. Judith erschrak, als sie ihn sah. Obwohl er nur wenige Tage hier war, schien er dünner geworden zu sein und hatte Ringe unter den Augen. Mit unbewegtem Gesicht nahm er auf dem Stuhl gegenüber Platz.
Judith wusste nicht, was sie sagen sollte. Das Gefängnis schüchterte sie ein.
»Hallo«, flüsterte sie. Sie wagte nicht zu fragen: »Wie geht es dir?«, denn das hätte für ihn sicher nur zynisch geklungen.
»Hallo«, sagte er tonlos. »Eigentlich wollte ich dich gar nicht sehen. Aber dann war ich doch neugierig, was du von mir willst.«
Judith schluckte. Ihr war zum Heulen zumute. »Es tut mir leid«, sagte sie.
»Ja, mir auch«, sagte Jan. »Das kannst du mir glauben. Wie geht es dir?«
»Was glaubst du denn. Ich fühl mich beschissen.«
»Warum?«
Judith holte tief Luft und suchte nach den richtigen Worten. »Ich fühle mich nicht besonders gut.«
Jan schnaubte. »Dann sind wir schon zwei.« Er sah sie lange und eindringlich an. Leben kehrte in seine Augen zurück. »Warum?«
»Weil ich glaube, dass du zu Unrecht hier bist«, sagte sie leise.
Der Getränkeautomat brummte leise vor sich hin.
Jan nickte, als würde er verstehen. »Bist du gekommen, um dein schlechtes Gewissen zu beruhigen?«
»Auch«, gab Judith zu und spürte, wie sie fast schon reflexartig eine ungeduldige Verteidigungshaltung einnahm, weil sie das Gefühl hatte, sich vor Jan rechtfertigen zu müssen. Dabei hatte er ihr nur eine ganz einfache Frage gestellt.
»Warum? Warum hast du ein schlechtes Gewissen?«, fragte Jan, der ihre Antwort nicht zu verstehen schien.
Judith seufzte. Und es war ein Seufzen, das sich in ein Schluchzen zu verwandeln drohte. Sie machte erst eine abwehrende Geste und hielt dann in der Bewegung inne. Genau dieses Verhalten hatte zum Ende ihrer Beziehung geführt. Sie war immer verschlossen wie eine Auster gewesen, hatte Stärke zeigen wollen, wo Offenheit angebracht gewesen wäre. Eine Offenheit, die Jan gerade jetzt verdiente. Also erzählte sie, was sich in den letzten Wochenzugetragen hatte, von Gabriel, seinen Nachstellungen – und ihrem schrecklichen Verdacht.
Dann schwiegen sie beide eine Weile. Jan war auf einmal sehr nachdenklich geworden. Und unruhig.
»Möchtest du vielleicht etwas trinken?«, fragte sie und stand auf.
Er schreckte hoch. »Gerne. Aber keinen Kaffee. Der ist hier schrecklich. Ich weiß nicht, wie viele Becher von dem Zeug ich schon in mich hineingekippt habe, während ich mit meinem Anwalt die Akten durchgegangen bin.«
»Also einen Tee?«
»Lieber ein Wasser«, sagte Jan.
Judith holte zwei Becher und setzte sich wieder.
»Weiß die Polizei von deinem Verdacht?«
Judith nickte und nippte an ihrem Wasser. »Ich weiß aber nicht, ob sie da einen Zusammenhang sieht. Dieser Dokupil lässt sich nicht in die Karten schauen.«
»Das muss mein Anwalt wissen!«, sagte Jan nachdrücklich, in dessen Stimme auf einmal Hoffnung mitschwang.
»Ich werde mit ihm sprechen!«
Plötzlich vergrub Jan sein Gesicht in den Händen und brach in Tränen aus. Judith erschrak. Und berührte ihn sanft am Arm. Er nahm ihre Hand.
»Danke, dass du gekommen bist«, sagte er und zog die Nase hoch. Dabei versuchte er ein kleines Lächeln.
»Ja«, sagte Judith nur. »Ich glaube, das war ich dir schuldig.« Und mir selbst, dachte sie.
»Die Zeit ist um«, sagte der Justizbeamte, der die ganze Zeit in der Ecke gesessen hatte und bestimmt jedes Wort gehört hatte, dass sie und Jan miteinander gewechselt hatten.
Jan stand auf und auch Judith erhob sich. »Danke«, sagte Jan noch einmal. Dann drehte er sich um und ließ sich wieder in seine Zelle führen, während Judith alleine in dem Raum zurückblieb, der auf einmal bedrückend und grau war.
Einen Tag später bekam Judith ihren Rechner zurück. Robert hatte ihn mitgebracht. Die ganze folgende Nacht und den halben Vormittag hatte sie das Notebook nicht angerührt, so als fürchtete sie, einen unheilvollen Geist zu wecken, der darin hauste. Erst als sie aus der Schule kam, fasste sie sich ein Herz und fuhr das Gerät hoch.
Nachdem sie einmal tief durchgeatmet hatte, öffnete sie ihren E-Mail-Account.
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