Ich bin dein, du bist mein
was macht man nicht einfach mal so nebenher. Ich an deiner Stelle würde schnellstens das Passwort ändern. Und die Bilder löschen. Obwohl das vermutlich nicht mehr viel helfen wird. Ich habe das Netz danach durchsucht. Irgendjemand hat sie gezielt in einschlägigen Foren gepostet. Die sind jetzt draußen – überall.«
Judith stieß einen Fluch aus.
»Wer war das? Dein Stalker?«
»Ja.«
»Klingt so, als würdest du richtig tief in der Scheiße stecken.«
Sie drückte ihm das Smartphone wieder in die Hand. »Hier. Danke auch.«
»Gern geschehen. Und he!«, rief er ihr hinterher, als sie zurück zu ihrer Mutter ging. »Pass auf dich auf, okay?«
Judith schwieg. Tränen der Wut standen ihr in den Augen.
»Judith?«
Sie drehte sich um und sah in Kims bleiches Gesicht.Ihr schwarzes Haar war ganz durcheinander. Unter dem Arm trug sie ihren Helm. »Warst du schon auf deiner Facebook …«
»Ja«, unterbrach Judith sie. »Thilo hat mir die Bilder gerade gezeigt.«
»Was für ein Schwein, dieser Gabriel!«, flüsterte Kim fassungslos. »Was für ein widerliches Schwein!«
»Wo ist Niels?«, fragte Judith.
Kim zeigte auf eine Gruppe von Schülern, die feixend beieinanderstand, während Niels wütend auf sie einredete.
»Es macht die Runde«, sagte Kim.
»Was du nicht sagst«, meinte Judith. Der Boden unter ihren Füßen schwankte.
Die Kirchenglocke läutete zum Beginn der Trauerfeier. Zoeys Eltern gingen voran. Die Mutter, blond wie die Tochter, schien eine stolze Frau zu sein, die sich tapfer aufrecht hielt. Das kantige Gesicht ihres Mannes wirkte dagegen merkwürdig ausdruckslos. Ihnen folgte der Rest der Familie.
Nicht alle Gäste fanden in der Aussegnungshalle Platz. Judith blieb draußen, zusammen mit ihrer Mutter, Kim und Niels. Sie sprachen kein Wort. Nicht während der Trauerreden, die bruchstückhaft nach draußen drangen. Und nicht, als der Sarg hinausgerollt wurde und sie sich an den Schluss des langen Trauerzugs setzten.
Judith fragte sich, ob sie nicht schon genug getan hatte, um ihr Mitgefühl zu bekunden. Musste sie jetzt auch noch am Grab stehen? Beinahe wäre sie auf der Stelle umgekehrt und gegangen, doch da bemerkte sie auf einmal die massige Gestalt hinter sich.
»Hallo«, flüsterte eine tiefe Stimme.
»Bogdan?«, fragte Judith ungläubig.
Jetzt drehte sich auch ihre Mutter um und zuckte beim Anblick des Hünen zusammen.
In seinem schwarzen Anzug sah Bogdan weniger wie ein Beerdigungsgast, sondern eher wie die linke Hand eines Mafiabosses aus. Der Kragen seines weißen Hemdes war anscheinend zu eng, denn der oberste Knopf war geöffnet und er trug keine Krawatte, sodass die Tätowierungen an seinem Hals zu sehen waren.
»Ich hab mir gedacht, du könntest vielleicht jemanden gebrauchen, der dir heute ein wenig den Rücken freihält.«
Rücken freihalten! Judith musste beinahe lachen, obwohl ihr gar nicht danach zumute war. Den Rücken freihalten, oh ja, das konnte Bogdan, und Judith war mit einem Mal froh, jemanden an ihrer Seite zu wissen, der sie nicht nur mit Worten verteidigen konnte. Auf einmal fühlte sie sich sicher.
»Wer ist das?«, fragte Marion, als sie aus den Augenwinkeln zu dem Mann aufschaute.
»Ich bin ein Freund«, sagte Bogdan nur, bevor Judith etwas erwidern konnte.
Marion schaute ihre Tochter an und sie wiederholte nur Bogdans Worte.
»Ein Freund.«
Judith ergriff seine Hand, die mindestens doppelt so groß wie die ihre war, und drückte sie. »Danke«, flüsterte sie.
Kim starrte die beiden völlig entgeistert an, beruhigte sich aber, als Judith ihr mit einer Geste Entwarnung gab.
Die Sonne brannte jetzt vom Himmel. Dieser Teil des Friedhofs war neu, die frisch gepflanzten Setzlinge spendeten keinen Schatten. Bogdans Schädel war mit feinen Schweißperlen übersät, und Judith war im Nachhinein froh, dass sie in ihrem Schrank nichts Schwarzes gefunden hatte.
Ein kurzes Gebet wurde gesprochen, dann wurde der Sarg in der frisch ausgehobenen Grube versenkt. Alles vollzog sich in vollkommener Stille. Niemand weinte. Es dauerte eine halbe Stunde, bis Judith am offenen Grab angelangt war, um sich von Zoey zu verabschieden, einem Mädchen, das sie kaum gekannt hatte und mit dessen Schicksal das ihre so unheilvoll verknüpft war.
Sie wollte gerade eine Rose aus der Schale nehmen undins Grab werfen, als sie innehielt. Ihr war, als lauerte jemand in ihrem Rücken. Langsam drehte sie sich um. Sie war die letzte in der Schlange. Nur einige Mitschüler standen
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