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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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falsch hält. Und doch handelt er aus verschiedenen Gründen nicht in Freiligraths Interesse. Er muss eine andere Theorie zu den damaligen Taten haben, einen anderen Schuldigen, und niemand ist mit diesen Taten so vertraut wie Sie. Bitte, Sie müssen versuchen …»
    Albrecht brach ab.
    Es hatte keinen Sinn.
    Wolframs Blick, sein Bewusstsein, das sich für Momente ins Hier und Jetzt durchgekämpft hatte: Mit einem Mal war nichts mehr da. Ein verwirbeltes Grau wie das Wasser draußen vor der Küste, wenn der Sturm die Wogen ins offene Meer zurückpeitscht.
    Ganz weit weg, dachte Albrecht. Ganz tief drinnen in sich selbst, der einzigen Zuflucht, die ihm noch bleibt, nachdem er um Irmtraud Wegners willen sein Gefängnis verlassen hat.
    Gab es einen Beweis, dass die Sekretärin überhaupt noch lebte?
    Kein Beweis. Nur ein Gefühl.
    Aber auch Professor Möllhaus war zunächst entführt worden, um dann einen besonders grausigen Tod zu erleiden, ohne dass die Ermittler eine Chance bekommen hatten, einzugreifen. Und Neverdings langsames Sterben hatte Tage gedauert.
    Neverding.
    «Was ist es, das ich übersehe?», flüsterte Jörg Albrecht.
    Alle Fäden liefen im Hier und Jetzt zusammen, auf Max Freiligrath zu. Oder doch auf Horst Wolfram?
    Machte das einen Unterschied?
    Albrecht spürte den Lauf der Fäden – und doch konnte er ihnen nicht bis ans Ende folgen. Das Ende war immer noch dunkel.
    Wie war das möglich?
    Alle Versatzstücke waren am richtigen Ort.
    Wolfram. Freiligrath. Beide waren ein Teil der Lösung.
    Wolfram besaß ein Wissen um die damaligen Ermittlungen wie kein anderer Mensch. Weil er selbst sie geführt hatte.
    Wenn ein Mensch die Wahrheit kannte, dann war es Wolfram. Ja, Freiligrath hatte recht. Albrecht selbst spürte es, intuitiv.
    Das war die Lösung – oder es kam ihr doch sehr, sehr nahe.
    Und genau das musste auch seinem Täter bewusst sein. Den unsichtbaren Augen, die er selbst durch das Mauerwerk des alten Mühlengebäudes auf sich gerichtet fühlte.
    Er würde kommen.
    Und am Rande des Parkplatzes warteten die Braunschweiger auf ihren Einsatz.
    Die Voraussetzungen waren perfekt. Jörg Albrecht würde diesen Fall heute Abend lösen – oder er würde ihn niemals lösen. Eine dritte Möglichkeit existierte nicht.
    Zu Füßen der beiden Männer führte die Treppe in die Tiefe, Neonleuchten an der Decke, an der Wand der ockerfarbene Streifen.
    Aber alles in Jörg Albrecht wehrte sich dagegen, den ersten Schritt zu tun.
    Für eine Sekunde wünschte er sich, er hätte sein Mobiltelefon dabei und könnte Heiner Schultz anrufen.
    Sie telefonierten
nie
miteinander, es sei denn, ihre Verabredung musste verschoben werden.
    Drei Mal. In mehr als zwanzig Jahren.
    Was würde Schultz jetzt tun?
    Frag doch gleich, was
Sokrates
tun würde!
    «Sie würden mir erzählen, dass es nicht ihre Entscheidung ist», murmelte Jörg Albrecht. «Sondern meine.»
    Schritte auf dem Flur hinter ihnen.
    Und auf einmal gab es keine Entscheidung mehr.
    Albrecht fasste den Arm des älteren Mannes fester und drängte Wolfram nach rechts, wo ein Handlauf an der Wand entlangführte.
    Sechs Stufen, sieben. Albrecht spürte, dass der Ältere Mühe hatte, ihm zu folgen. Ein Treppenabsatz.
    Im nächsten Moment waren sie außer Sichtweite.
    Der Hauptkommissar verharrte und hielt die Luft an. Lauschte. Nein, die Schritte folgten ihnen nicht.
    Eine der Neonröhren flackerte irritierend. Das pastellige Weiß der Wände erschien unwirklich in diesem Licht. Albrecht streckte die Hand aus und berührte das alte Mauerwerk, das durch den modernen Putz hindurchzuschimmern schien.
    Eine schwache Vibration, die er mit dem Rauschen strömenden Wassers in Verbindung brachte.
    Die Schleusenanlage. Im Keller.
    Schritt für Schritt, langsamer jetzt, stiegen die beiden Männer die Treppe hinab, die an einer einzelnen Tür endete. Die ockerfarbene Linie endete an einem Schild:
62.u Gruppentherapie
.
    Irgendwie, dachte Jörg Albrecht, traf es das gar nicht so schlecht.
    Er blieb stehen.
    «Ich möchte Sie jetzt bitten, hier auf mich zu warten», wandte er sich mit gedämpfter Stimme an Wolfram. «Ich werde mich kurz umsehen, und nur wenn ich sicher bin, dass alles in Ordnung ist, hole ich Sie dazu. Sie warten genau hier, ja? Wenn irgendetwas passiert, oder wenn Sie … wenn Sie mich brauchen, rufen Sie nach mir!»
    Wolfram sah ihn an. Nein, er sah ihn nicht an. Seine Augen waren geschlossen.
    «Haben Sie mich verstanden, Herr Wolfram?», fragte der

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