Ich bin der Herr deiner Angst
selbst hatte ihm den Ermittlungsauftrag für das
Fleur du Mal
erteilt. Ein dienstliches Fehlverhalten würden sie selbst mit bösem Willen nicht konstruieren können. Doch es gab andere Möglichkeiten.
Befangen.
Wenn sie es darauf anlegten, konnten sie ihm den Fall und jede Chance irgendetwas wiedergutzumachen, mit drei Worten aus der Hand nehmen.
«Stellen Sie durch!»
Ein kurzes Knacken.
«Lorentz hier.»
Die Polizeipräsidentin selbst. Der Schraubstock zog sich zusammen.
«Ich höre», murmelte Albrecht.
«Verfolgen Sie die Berichterstattung der Medien?»
Der Hauptkommissar holte Luft, doch sie ließ ihm keine Zeit zu einer Antwort.
«Ich verfolge sie. Und mit mir die halbe Stadt. Das halbe
Land
. Der
Innensenator
.»
Was vermutlich das Wichtigste ist, dachte Albrecht. Der Innensenator und der Bürgermeister dazu. Doch er biss die Zähne zusammen.
«Ich muss Ihnen wohl kaum mitteilen, dass diese Angelegenheit oberste Priorität hat», sagte die Polizeipräsidentin. «Wie sehen Ihre ersten Ergebnisse aus?»
Albrecht schluckte. Kein Wort davon, ihm die Sache abzunehmen. Doch diese Frau konnte mehr tun, wenn sie wollte. Ihn die Ermittlung vor die Wand fahren lassen und ihn dann öffentlich ans Kreuz schlagen.
Wieder blitzte das Bild von Hartungs Körper vor seinen Augen auf.
«Gegenwärtig sind wir noch dabei, uns einen Überblick über die Sachlage zu verschaffen», sagte er mit sehr viel mehr Ruhe, als er verspürte. «Der Getötete befand sich in Begleitung einer maskierten Person, die offenbar nach der Tat entkommen konnte. Wir vermuten, dass es sich um eine Frau handelt, doch ohne Zweifel lässt sich das nicht sagen. Überdies trug sie wahrscheinlich Handschuhe.»
Keine Antwort.
«Noch wissen wir nicht mit Sicherheit …»
«Sagen Sie mir,
was
Sie wissen!»
Albrechts linke Faust ballte sich. Er kannte weder den Innensenator noch den Bürgermeister persönlich, die Millionen von Gaffern vor der Glotze sowieso nicht, doch Isolde Lorentz kam aus dem Polizeidienst. Die Frau am anderen Ende der Leitung wusste, was Ermittlungsarbeit bedeutete.
Er zwang seine Stimme zur Ruhe. «Sokrates sagt …»
«Sokrates’ Tod müssen Sie nicht aufklären!» Die Stimme klirrte. Stahl auf Eis.
«Er wurde hingerichtet», murmelte Albrecht. Noch leiser: «Man reichte ihm den Schierlingsbecher.»
Lorentz schwieg für einen Moment. Vielleicht drang sekundenlang etwas von dem, was er fühlte, zu ihr durch. Doch es waren nicht mehr als zwei, drei Atemzüge.
«Wir sind im Liveticker auf Kanal Neun. Es besteht ein erhöhtes öffentliches Interesse an diesem Fall, und die Menschen haben ein Recht auf Informationen und Ergebnisse. – Ich habe Ihnen für sechzehn Uhr den Mediensaal reserviert. Wir geben eine Pressekonferenz!»
«Ich …»
Ein Knacksen. Das Gespräch war beendet.
***
Diesmal stellte ich den Wagen zwei Straßen vom Haus der Hartungs entfernt ab. Näher dran war alles zugeparkt mit den Fahrzeugen der Presseleute und unseren Einsatzwagen. Die Anwohner würden sich bedanken.
Von hier aus waren es nicht mehr als ein, zwei Kilometer bis zum Präsidium in Winterhude. Entsprechend gehörte die Siedlung an der Wellingsbütteler Landstraße zu den Stadtteilen mit erhöhter Bullendichte, was die Wohnbevölkerung anbetraf. Trotzdem sah man selten so viele Kollegen in Uniform auf der Straße wie heute.
Einer der Beamten vor dem Hartung-Haus erkannte mich wieder und ließ mich mit einem Nicken passieren. In meinem Rücken hörte ich die Fotoapparate klicken. Die Journalisten riefen mir etwas nach, doch ich war bereits durch den Kordon der Einsatzkräfte hindurch.
Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch drückte ich die Klingel. Ich konnte nachvollziehen, warum unser Herr und Meister gerade mich geschickt hatte, war mir aber unsicher, ob es für Sabine Hartung einen Unterschied machte, ob Männlein oder Weiblein an ihrer Tür klingelte, solange die Gestalt auf der Fußmatte eine Polizeimarke trug.
Jedenfalls war ich darauf gefasst, ganz schnell den Rückzug anzutreten, falls sie Anstalten machte, wieder zum Schlag auszuholen.
Die Tür öffnete sich einen winzigen Spalt. Es war nicht Sabine Hartung. Es war das Mädchen vom Girls’ Day, ein paar Zentimeter größer inzwischen und käseweiß im Gesicht.
«Hi … Melanie.» Es überraschte mich selbst, dass mir der Name einfiel. «Erinnerst du dich an mich? Ich würde gerne mit deiner … Mutter sprechen.» Das Wort
Mama
vermied ich im letzten Moment. In
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