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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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und schrieb in die Mitte der freien Fläche den Namen
Ole Hartung
.
    «Ein Beamter wurde getötet», begann er. «Ob dies in Ausübung seines dienstlichen Auftrags geschehen ist, gehört zu den Fragen, die wir uns vornehmen müssen. Doch es ist nicht die vorrangige Frage. Ein Mensch ist durch Fremdverschulden ums Leben gekommen, und damit stellen sich wie bei jedem Tötungsdelikt zwei Fragen, die wichtiger sind als alle anderen: Wer?» Er notierte das Fragewort oben links in der Ecke. «Und: Warum?» Unmittelbar darunter. «Alle anderen Fragen – Wann genau? Wie, auf welche Weise? – bilden lediglich Schritte auf dem Wege dorthin. Wichtige Schritte allerdings.» Er schloss kurz die Augen. «Die Frage nach dem Wo können wir bereits mit großer Sicherheit beantworten. Nach Eulers Analyse ist der Auffindungsort ohne Zweifel auch der Tatort.»
    Sofort kam das Bild von Hartungs fixiertem Leib zu mir zurück. Die Pfütze aus geronnenem Blut, die sich unter seinem Schritt ausgebreitet hatte. Ich nickte. Nein, da gab es nicht die Spur eines Zweifels.
    «Wir alle wissen, in was für einer Gegend sich unser Tatort befindet.» Albrecht sah in die Runde. «Und wir alle wissen, dass wir noch vor ein, zwei Jahren zu diesem Zeitpunkt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Bild unserer tatverdächtigen Person auf dem Tisch gehabt hätten. Etwas undeutlich und verschwommen, aber immerhin. Ebenso, wie wir alle wissen, dass die stationären Überwachungskameras auf der Reeperbahn am 15. Juli 2011 nach einem Gerichtsbeschluss abgeschaltet werden mussten.»
    Ich räusperte mich. «Soviel ich weiß, war das eine freiwillige Entscheidung des Innensenators, oder? Mit ein paar Einschränkungen hätten die Kameras weiterlaufen dürfen.»
    «Exakt», knurrte der Chef. «Mit verpixelten Haus- und Kneipeneingängen! Den Geranien im Planten un Blomen hätten wir weiter beim Wachsen zusehen dürfen. Vergessen Sie’s! – Lehmann?»
    Ein Blinzeln.
    «Sie haben die Fernsehmenschen erreicht?»
    Nils Lehmann nickte. «Sie behaupten, sie hätten das Bildmaterial von einem Informanten, dessen Identität sie nicht aufdecken wollen. Anscheinend haben sie einfach ein Team zur Bernhard-Nocht-Straße geschickt, und als sie unsere Fahrzeuge gesehen haben, wussten sie, dass an der Sache was dran sein muss.»
    «Der Täter – die Täterin – schickt ihnen ein Beweisfoto als Trophäe?», meldete sich Faber. «Und sie weigern sich, uns Informationen zu geben? Dürfen die das?»
    Ich drehte mich zu ihm um. «Wir haben keinen Beweis, dass die Fotos vom Täter stammen. Um drei Uhr zweiundzwanzig ist der Anruf auf der Dienststelle eingegangen. Danach hat es fast zehn Minuten gedauert, bis die erste Streife vor Ort war. Und wir wissen nicht, wer alles Zugang zu dem Zimmer hatte, bevor sie uns alarmiert haben.»
    «Euler wird die Fingerabdrücke sichten», brummte Albrecht. «Wir können sie dann mit denen der Mädchen abgleichen. Doch dann kommen noch die Kunden dazu, vielleicht sogar welche, die wir nicht erfassen konnten, weil sie den Schuppen bereits verlassen hatten. Und irgendwo dazwischen unsere Verdachtsperson.»
    Ich schüttelte den Kopf. «Unwahrscheinlich.»
    Fragend sah er mich an.
    «Catwoman», sagte ich. «Die Maske. Das war eindeutig die Latex-Variante. Jemand sollte noch mal mit Jacqueline reden deswegen, aber wenn sie so eine Montur anhatte, gehörten mit ziemlicher Sicherheit auch Handschuhe dazu.»
    Albrecht fluchte unterdrückt und brummte etwas, das ich nicht verstand. Und ich glaubte auch zu wissen, warum.
    «Sie dürfen das für uns übersetzen», sagte ich müde.
    Sein Lächeln war nicht mehr als ein Schatten, aus dem Erschöpfung sprach. «Altgriechisch», murmelte er. «Sokrates. Wenn wir wissen, dass wir nichts wissen – dann ist schon das beachtlich.»
    Was für Aussichten. Mein Gedanke spiegelte sich auf sämtlichen Gesichtern rund um den Tisch.
    Wir standen ganz am Anfang.
    Und konnten doch nicht ahnen, dass das in
jeder
Hinsicht zutraf.
    Dass der Albtraum gerade erst begonnen hatte.
    ***
    Ole Hartung war tot.
    Jörg Albrecht saß an seinem Schreibtisch, den Kugelschreiber in der Hand.
Ole Hartung ist tot.
Er stand kurz davor, den Satz niederzuschreiben. Als wenn er einen zusätzlichen Beweis brauchte. Einen Beweis, der noch deutlicher war als der entstellte Leib, den er mit eigenen Augen gesehen hatte, oder das dumpfe Pochen in seiner Wange.
    Das menschliche Hirn war eine sonderbare Angelegenheit. Es konnte

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