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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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diesem Alter war
Mama
ziemlich uncool.
    Der Spalt wurde eine Idee weiter geöffnet. Im selben Moment hörte ich Schritte im Flur, und eine größere Gestalt schob sich an dem Mädchen vorbei.
    «Hannah.» Mein Name war eine Feststellung. Gleichzeitig fiel mir ein, dass Dennis und ich uns seit dem letzten Betriebsausflug mit beiden Hartungs duzten.
    Sabine war nach wie vor blass, doch auf ihren Wangen brannten rote Flecken. Als mir ihr Atem in die Nase stieg, wusste ich, dass sie Trost bei Freund Jägermeister gesucht hatte. Wer konnte es der Frau verübeln?
    Doch sie wirkte nicht abweisend, sondern vor allem weit, weit weg.
    «Darf ich reinkommen?», fragte ich vorsichtig.
    Sie sah mich wortlos an, rührte sich aber nicht. Ihre Tochter war schon geräuschlos verschwunden.
    Plötzlich ging ein Ruck durch die Frau. Die Tür wurde vollständig geöffnet, und im nächsten Moment presste Sabine Hartung sich gegen mich, von Weinkrämpfen geschüttelt. Das Unheimlichste war, dass sie dabei keinen Laut von sich gab.
    Hinter mir hörte ich wieder das Klicken der Fotoapparate, in gesteigerter Frequenz jetzt. Ich verfluchte die Pressemeute, schob Sabine Hartung zurück in den Flur und drückte die Tür hinter uns zu.
    «Es … es tut mir leid», stammelte Sabine. Die Worte waren kaum zu verstehen. Sie löste sich von mir, musste aber auf der Stelle Halt an einer Anrichte suchen. «Das … mit Albrecht. Das wollte ich nicht.»
    Ich schüttelte nur den Kopf und legte ihr die Hand auf die Schulter. Nicht schlimm. Sie konnte nicht wissen, wie gut ich unseren Chef kannte. Ich war mir verdammt sicher, dass er für diesen Schlag fast dankbar war.
    Ich schaute mich im schummerigen Eingangsflur um. Dunkle Möbel, ein bisschen Nippes, aber nicht übermäßig. Ungefähr so, wie ich mir das Haus der Hartungs vorgestellt hätte.
    «Bist du ganz allein hier mit den Kindern?», fragte ich überrascht.
    Natürlich gab es ein festes Prozedere, wenn wir Todesnachrichten zu überbringen hatten. Ein Anruf beim Präsidium genügte, und zwanzig Minuten später stand ein Psychologe oder wahlweise ein Seelsorger vor der Tür. Doch jede Regelung war flexibel. Wenn wir damit rechnen mussten, dass der amtliche Beistand mit einer Backpfeife empfangen wurde, ließen wir den Anruf bleiben.
    «Allein? – Nein.» Sabine schüttelte den Kopf. «Ich meine: Ja, mit den Kindern. Kerstin wollte kommen, Kerstin Ebert, aber sie hat wohl …»
    Ich nickte. Bullenghetto Ohlsdorf. Die Eberts wohnten fast um die Ecke. Doch so leid mir Sabine Hartung tat, war ich doch froh, dass Kerstin es sich anders überlegt hatte. Wir hatten am Wochenende zum letzten Mal telefoniert, und sie hatte mir ganz aufgekratzt erzählt, der Arzt habe gemeint, wie es aussähe, würde das Baby wohl ein, zwei Wochen vor dem errechneten Termin kommen, womöglich schon in den allernächsten Tagen.
    Wer weiß, was schon der Schock über Ole Hartungs Tod mit Kerstin angestellt hatte. Sie musste es übers Fernsehen erfahren haben. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand vom Revier sie informiert hatte. Jedenfalls war es gut, dass sie jetzt nicht hier war.
    «Komm, Sabine!», sagte ich leise. «Wollen wir uns irgendwo hinsetzen?»
    Sie nickte und deutete fahrig zu einer halb offenen Glastür. Aus dem oberen Stock hörte ich Geräusche. Melanie und ihr Bruder, ein paar Jahre jünger als das Mädchen. Die Kinder der Hartungs waren sehr spät gekommen, genau wie bei Kerstin, die das zweite jetzt mit dreiundvierzig bekam.
    Das Wohnzimmer musste unter normalen Umständen ein freundlicher Raum sein, doch heute wirkte es trostlos. Es ging auf den Garten hinaus, aber die Jalousien waren zur Hälfte geschlossen, obwohl sich die Sonne den ganzen Tag nicht hatte blicken lassen. Zwei Sofakissen lagen am Boden, auf dem Couchtisch ein zersplitterter Bilderrahmen. Das Foto, das er enthalten haben musste, war verschwunden.
    Ich ahnte, wer darauf zu sehen gewesen war.
    Sabine sank schwer auf das Sofa. Die Likörflasche stand in Griffweite, zu drei Vierteln leer.
    Irgendetwas hielt mich zurück, mich zu ihr auf die Couch zu setzen. Ich war nicht hier, um sie zu trösten, musste ich mir in Erinnerung rufen.
    Doch spielte es eine Rolle, warum ich ursprünglich gekommen war? Seit heute Morgen hatte die Frau diesen fürchterlichen Tag ganz alleine durchgestanden. Hatte sie keine Eltern, Geschwister, keine anderen Freunde als Kerstin Ebert? Einen Moment lang spürte ich Unruhe. Es sah Kerstin gar nicht ähnlich,

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