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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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wir normalerweise die Ermittlungen führten, würden gleichzeitig Zeugen sein. Ich war mir nicht sicher, ob Vorschriften existierten, dass Jörg Albrecht den Fall unter diesen Umständen abgeben müsste. Er würde mit Klauen und Zähnen darum kämpfen, ihn zu behalten.
    «Man hat wenig von Ole Hartung gesehen in letzter Zeit», sagte ich schließlich, als mir klar wurde, dass sie von sich aus nicht sprechen würde. «Irgendwo habe ich gehört, dass er zu einem Auftrag abgestellt war, aber dass das dieser Schuppen war …»
    Ein Stück den Flur runter wurde eine Tür geöffnet, schloss sich aber sofort wieder. Ich hörte halblaute Stimmen. Und noch immer hatte ich das Gefühl, dass Irmtraud etwas sagen wollte. Doch der Moment würde jeden Augenblick vorbei sein. Die ersten Mitarbeiter kamen von der Bernhard-Nocht-Straße zurück, es waren nur noch ein paar Minuten bis zum Meeting im Besprechungszimmer.
    Die Sekretärin sah mich an, zögerte einen Moment und schüttelte dann den Kopf. «Ein reiner Routineauftrag und von oben abgesegnet», sagte sie. «Alles protokolliert. Da muss sich der Chef keine Sorgen machen, dass ihm jemand einen Strick draus dreht.»
    Nein, dachte ich. Das ist auch unnötig. Das macht er schon ganz alleine.
    Doch warum war ich mir so sicher, dass ihr etwas völlig anderes auf der Zunge gelegen hatte?
    Ich öffnete den Mund, doch im letzten Moment überlegte ich es mir anders. Und fünf Sekunden später ging am Ende des Flurs die Tür auf, Lehmann und Faber kamen herein, und der Augenblick war vorbei. Zeit für das Meeting.
    Jeder von uns trägt in seinem Kopf seine Leichen mit sich herum. Bei Jörg Albrecht ist es Ole Hartung und die halbe Welt, bei mir sind es diese fünf Sekunden.
    Diese fünf Sekunden Schweigen, die ich mir nicht verzeihen werde, so lange ich lebe.
    ***
    Sieben der vierzehn Stühle im Besprechungszimmer waren besetzt. Kerstin Ebert befand sich im Mutterschutz, und der alte Hansen war seit sechs Wochen krankgeschrieben. Wir rechneten nicht mehr damit, dass er wieder zurückkommen würde. Die übrigen Kollegen hielten entweder die Stellung im
Fleurs du Mal
oder waren bei ihren aktuellen Einsätzen nicht zu entbehren.
    Und Ole Hartung war tot.
    «Sie alle arbeiten von nun an bis auf Weiteres am
Fleurs du Mal
-Fall.» Eine typische Jörg-Albrecht-Begrüßung.
    Der Chef sah nicht viel besser aus als vor einer Viertelstunde, aber er hatte wenigstens die Blutspuren aus seinem Gesicht entfernt. Die Wunde war natürlich trotzdem sichtbar, doch niemand am Tisch schien sie zur Kenntnis zu nehmen. Geschichten wie die von seiner Begegnung mit Sabine Hartung machten auf überlichtschnelle Weise die Runde auf dem Revier.
    «Faber?»
    Der glatzköpfige Beamte neben Nils Lehmann blickte auf.
    «Sie waren zuletzt an der Cornelsen-Sache?»
    Faber nickte. «Sie hatten eine Rund-um-die-Uhr-Beschattung angeordnet, doch bisher …»
    «Wenn in zwei Wochen nichts dabei herausgekommen ist, wird das auch nicht mehr passieren. Ist etwas herausgekommen?»
    «Nicht …» Faber räusperte sich. «Nicht direkt.»
    «Gut. Dann ist das erledigt.»
    Ich sah, wie der Glatzkopf die Schultern sinken ließ. Wir waren alle mitgenommen an diesem Morgen. Keiner von uns hatte das, was mit Ole Hartung geschehen war, auch nur ansatzweise verdaut. Doch bei Faber kam vermutlich noch ein zweites Element hinzu: Beschattungen gehörten zwar zu den langweiligsten Jobs überhaupt. Wenn das Zielobjekt allerdings zu den oberen Zehntausend gehörte und in den feinsten Restaurants verkehrte, gab es sicher unangenehmere Methoden, seine Dienststunden rumzukriegen.
    «Lehmann?»
    Unser Jüngster sah blinzelnd auf. Irgendwie hatte man bei ihm jedes Mal das Gefühl, er wäre kurz eingenickt.
    «Von Ihnen bekomme ich noch die Dokumentation über diese …»
    «Die Antonioni-Brüder?»
    «… diese Schweden.»
    «Die auch.» Lehmann nickte eifrig.
    «Stellen Sie das zurück! Wir arbeiten jetzt am
Fleurs du Mal
-Fall. Dem Ole-Hartung-Fall.»
    Er fuhr sich durchs Haar. Albrechts Schopf war grauer geworden, seitdem wir uns kannten, und heute Nacht schienen mehrere helle Strähnen dazugekommen zu sein.
    Doch er hatte jede einzelne Ermittlung, an der jeder einzelne Beamte arbeitete, auf dem Schirm, konnte sie jederzeit abrufen. Ausgenommen, dachte ich, Ole Hartungs Untersuchungen in der Bernhard-Nocht-Straße.
    Jörg Albrecht trat an das Whiteboard, das fast die gesamte Stirnseite des Besprechungszimmers einnahm, griff sich einen Edding

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