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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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Dinge in Sekundenschnelle erfassen – und gleichzeitig ein halbes Leben brauchen, um sie wirklich zu begreifen.
    Warum sonst wachte er noch immer jeden Morgen in dem Bauernhaus in Ohlstedt auf, das Joanna und er mit dem Geld …
    Der Kugelschreiber knallte ein paar Zentimeter neben der Tür gegen die Wand und zersplitterte in seine Einzelteile.
    «Scheiß auf das Geld!», knurrte Albrecht.
    Er wollte einfach nur sein Leben zurück. Joanna, die beiden Mädchen. Diesmal würde er es besser machen, würde seine Toten dort lassen, wo sie hingehörten, würde nicht mehr …
    Aber so etwas wie eine zweite Chance gab es nicht. Jörg Albrecht hatte auf ganzer Linie versagt, als Ehemann wie als Leiter des Kommissariats.
    «Ich war nie da», murmelte er. «Selbst wenn ich dort war.» In Ohlstedt genauso wie hier auf der Dienststelle. Er hatte nichts, aber auch gar nichts von dem gewusst, was im
Fleurs du Mal
vorging, nicht einmal, ob es überhaupt einen Fall gab. Er hatte Ole Hartung die Sache aufgedrückt und sie einfach vergessen. Hatte er nur ein einziges Mal nachgefragt, was sich dort entwickelte? Albrecht zermarterte sich das Hirn, versuchte sich an eine einzige Gelegenheit zu erinnern. Ein einziges Wort zwischen Tür und Angel, das die Schuld auf seinen Schultern erträglicher machen würde. Doch da war nichts.
    Versagt.
    Nein, er hatte Hartung keine Anweisung gegeben, sich an diesen Stuhl fesseln und zu Tode foltern zu lassen.
    Doch genau das musste geschehen sein. Die ersten Verletzungen, die er auf dem Stuhl erlitten hatte, die spielerisch zugefügten Verletzungen: Allem Anschein nach hatte Ole Hartung die Kaschemme freiwillig betreten. Was sprach dagegen, dass er sich auch freiwillig auf diesen Stuhl gesetzt hatte?
    Was sprach dagegen – mit Ausnahme des Bildes, das die Kollegen auf der Dienststelle bis zur vergangenen Nacht von Ole Hartung gehabt hatten?
    Wenn dieses Bild nicht all die Jahre hindurch ein falsches Bild gewesen war, gab es nur eine Möglichkeit: Ole Hartung selbst hatte sich im Laufe der vergangenen Monate verändert.
    Und genau das wäre nicht eingetreten, wenn Jörg Albrecht den Mann nicht mit einem völlig ungeklärten Auftrag in diesen Schuppen geschickt hätte. Ole Hartung wäre niemals mit diesem Dreck und dieser Dunkelheit in Berührung gekommen. Er hatte sich im Dunstkreis des
Fleurs du Mal
umgesehen, und irgendetwas dort musste eine verborgene Ader in seinem Innern angesprochen und ihn auf den Geschmack gebracht haben.
    Die dunkle Seite. Sie hätte niemals die Chance bekommen, einen Ehemann, einen Vater zweier Kinder, einen Kriminalbeamten kurz vor der Pensionierung von innen her zu vergiften.
    Doch Jörg Albrecht hatte ihm den Schierlingsbecher gereicht.
    Er stützte den Kopf in die Hände. Das Pochen in seiner Wange verwandelte sich in einen spitzen Schmerz.
    Denken. Versuch nachzudenken!
    Hatte Ole Hartung sich in den letzten Wochen ungewöhnlich verhalten?
    Hatte er vielleicht beiläufig etwas erwähnt, dem keiner der Kollegen eine besondere Bedeutung beigemessen hatte?
    Hatte er abwesend gewirkt?
    Der Hauptkommissar konnte es nicht sagen.
    Im Anschluss an das Meeting hatte Albrecht die Aufgaben neu verteilt. Hannah Friedrichs war noch einmal auf dem Weg zu Hartungs Witwe. Inzwischen verfluchte sich Albrecht dafür, dass er die Kommissarin heute Morgen mitgenommen hatte. Sabine Hartung würde sofort wieder an die Begegnung erinnert werden. Doch was blieb ihm übrig? Kerstin Ebert befand sich im Mutterschutz und Friedrichs war die einzige Frau im Team. Den Besuch durch einen männlichen Beamten wollte er in Anbetracht der Umstände weder der Witwe noch einem seiner Kollegen zumuten.
    Und sie hatten keinen anderen Ansatz, ausgenommen Jacqueline, mit der sich in diesem Moment der junge Lehmann unterhielt. Der Junge hatte eine bestimmte Art, mit Frauen umzugehen, auch wenn Albrecht Zweifel hatte, dass sie bei
solchen
Frauen unbedingt funktionieren würde.
    Sie mussten irgendwo anfangen. Sie mussten …
    Das Telefon. Albrecht starrte auf den Apparat, packte den Hörer.
    «Was ist los?»
    «Sie haben einen Anruf.» Irmtraud Wegner. Er hatte die Durchwahl blockiert. Alle Gespräche liefen über die Sekretärin.
    «Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich nicht gestört werden will! Wenn das meine Schwester ist …»
    «Aus Winterhude.»
    Albrecht verstummte. Das Präsidium.
    Er spürte, wie an seinen Schläfen ein Schraubstock ansetzte. Das Opfer war ein Beamter aus seinem Team. Albrecht

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