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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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beisammensaßen. Kant und Thomas von Aquin. Seneca wurde hin und wieder hinzugebeten, Friedrich  II . von Hohenstaufen – jeder große Geist, der jemals gefragt hatte: Wie verhalte ich mich richtig? Wie ist es möglich, die wahre Natur der Dinge zu erkennen?
    Albrecht nickte, als er sich in seinen Stammsessel sinken ließ. Ja, es kam selten vor, dass er unmittelbar von seiner Arbeit berichtete.
    Heute würde er berichten.
    Schultz hörte ihm aufmerksam zu, zündete sich hin und wieder eine neue Zigarette an, paffte Rauchkringel in die Luft und klopfte ein oder zwei Mal gegen sein Hörgerät, wenn er einen Satz nicht verstanden hatte, woraufhin Albrecht ihn noch einmal wiederholte.
    «Und dort stehen wir am heutigen Abend», schloss Jörg Albrecht seinen Bericht und strich über die Tischfläche, als hätte er die letzte Seite eines Dossiers dort abgelegt. «Dort stehen wir», murmelte er. «Am Rande des Grabes. Weniger als vierundzwanzig Stunden, und zwei meiner Mitarbeiter sind tot, ohne dass ich es verhindern konnte.»
    Ein Glas trockenen Rotweins stand vor ihm auf dem Tisch, das Gegenstück vor Heiner Schultz, der es nachdenklich zu betrachten schien.
    «Nun», sagte der alte Mann. «Wenn ich um einen Rat gebeten würde …»
    «Ich bitte darum.» Albrecht nickte ihm auffordernd zu und führte sein Glas an die Lippen.
    Schultz räusperte sich. «Wie ich das sehe, haben Sie bisher keinen wirklich entscheidenden Fehler gemacht, Jörg. Sie haben nämlich recht, wenn Sie sagen, dass Sie den Tod dieser beiden Menschen nicht verhindern
konnten
. Sie hatten schlicht keine Gelegenheit dazu. – Sie deuten an, dass Sie diese Todesfälle für den Beginn einer Serie halten. Das mag sein oder auch nicht sein, aber auf keinen Fall gab es einen früheren Zeitpunkt, eine solche Vermutung anzustellen, als
diesen
, nun, da es ein zweites Opfer gibt.»
    Eine knappe Handbewegung, die die Aussage unterstrich. Ein tiefer Zug, der die Spitze der Zigarette rot aufglimmen ließ.
    «Entscheidend ist, dass Sie
jetzt
die richtigen Schlüsse ziehen.»
    Albrecht nickte und stellte das Glas zurück auf den Tisch.
    «Welche Schlüsse würden Sie …»
    Der Blick des alten Mannes verhärtete sich. «Diese Frage stellt sich nicht.»
    Der Hauptkommissar biss die Zähne zusammen. Warum kam das nicht überraschend?
    «Dabei kann ich Ihnen nicht helfen», erklärte Schultz. «Wenn Ihnen jemand helfen kann, dann ist es Sokrates.»
    Jörg Albrecht hob die Augenbrauen.
    «Die richtige Frage …» Der alte Mann hob die Stimme, um deutlich zu machen, dass er einen Lehrsatz zitierte. «… trägt die richtige Antwort in sich. – Und hier sind viele Fragen denkbar: Stellen Ihre Morde eine Serie dar? Wenn das der Fall ist, was verbindet sie? Wo befindet sich der Ausgangspunkt?»
    «Beide Opfer …», begann Albrecht, doch Schultz hob Einhalt gebietend die Hand – nur Zentimeter über die Tischplatte, doch die bloße Geste genügte, den Hauptkommissar auf der Stelle verstummen zu lassen.
    «Das
könnten
Ihre Fragen sein», betonte Schultz. «Doch Sie haben keinerlei Garantie, dass es tatsächlich die richtigen Fragen sind. Ich rate dringend, sie lediglich als Beispiele zu betrachten. Ebenso gut könnten Sie fragen, ob es sich um einen zweiten Täter handelt, der nach dem Muster der ersten Tat … Wie nennen Sie das?»
    «Einen Nachahmungstäter?»
    «Genau.» Ein tiefer Zug. «Das wäre ebenfalls eine Möglichkeit. Und mit Sicherheit wären noch eine ganze Reihe weiterer Möglichkeiten denkbar.»
    «Aber unwahrscheinlich», murmelte Albrecht.
    «Einen regierenden Senat kann man nicht auf der Basis von Wahrscheinlichkeiten führen», bemerkte Schultz. «Ob das bei einer Ermittlung möglich ist, weiß ich nicht.»
    Albrecht gab sich Mühe, nicht zusammenzuzucken. Seine Rüffel dosierte Heiner Schultz bedeutend großzügiger als sein sorgsam verklausuliertes Lob.
    Der Hauptkommissar biss die Zähne zusammen.
    «Beide Opfer waren Polizisten», sagte er. «Beide Opfer waren Angehörige einer Abteilung, die Kapitalverbrechen nachgeht.
Meiner
Abteilung.»
    Die Antwort war ein Rauchkringel. Ein verformtes, geheimnisvolles Schriftzeichen.
    «Mene, mene tekel»,
murmelte Jörg Albrecht. «Gewogen und für zu leicht befunden.» Sein Blick fixierte den alten Mann. «Diesen Fehler mache ich
nicht
. Die Bilanz unserer Arbeit kann sich sehen lassen. Seitdem ich das Kommissariat leite, haben wir eine dreistellige Zahl schwer krimineller Menschen hinter Schloss

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