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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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und Riegel gebracht.»
    Und da hätten die meisten von ihnen noch immer schmachten sollen, wenn es nach ihm gegangen wäre.
    Ihm war klar, dass Heiner Schultz hier andere Positionen vertrat, doch Kontroversen dieser Art trugen sie nicht miteinander aus. Albrecht hatte seine Auffassung, der Bürgermeister außer Dienst eine andere, und sie waren erwachsen genug, einander gewähren zu lassen.
    Auch wenn es in diesem Fall schwerfiel.
    «Sie wissen, wie die Dinge liegen», stellte der Hauptkommissar lediglich fest. «Selbstredend haben alle diese Menschen eine fürchterliche Kindheit hinter sich, und entsprechend befindet sich die Hälfte von ihnen inzwischen wieder in Freiheit. – Die andere Hälfte hat mich noch im Gerichtssaal auf ihre hervorragenden Verbindungen hingewiesen, die sie nach
draußen
besitzt.»
    Ein Rauchkringel. Sonst nichts.
    Jörg Albrecht schwieg für einige Sekunden. Es gab Dinge, die sich von selbst verstanden. Dinge, die er nicht ausbreiten konnte vor diesem nüchternen alten Mann.
    Joanna, die Kinder: Er hatte immer gewusst, dass er in einem zerbrechlichen Glück lebte. Er sollte froh sein, dass es Dr. Hannes Jork gewesen war, der Wunderdentist, der dieses Glück beendet hatte.
    Besser als Henrik Mørckel, auf dessen Konto drei zerstückelte Frauen gingen, oder der Assafi-Clan, der ein halbes Jahrzehnt lang das Heroingeschäft in der Stadt kontrolliert hatte.
    Nein, Joanna konnte ihm niemand mehr wegnehmen. Trotzdem hatte er bereits veranlasst, dass eine Zivilstreife vor dem restaurierten Bauernhaus nach dem Rechten sehen würde.
    Joanna war geschützt, doch …
    Albrecht griff nach dem Weinglas, nahm den letzten Schluck und schenkte sich nach, nachdem Schultz auf seinen fragenden Blick hin den Kopf geschüttelt hatte.
    «Herr Bürgermeister, Sie wissen, was es heißt, Verantwortung zu tragen», sagte Jörg Albrecht. «Sie haben diese Situation zu Ihrer Zeit im Amt selbst erlebt. Der Bus. Die Kinder.»
    Heiner Schultz nickte, und seine Gestalt schien noch ein Stück in sich zusammenzusinken.
    «Wir wussten, dass diese Männer den Bus in ihrer Hand hatten.» Seine Stimme war jetzt kaum mehr als ein Nuscheln, die sonst so wachen Augen getrübt. Weit entfernt, dachte Jörg Albrecht. Weit in der Vergangenheit. «Oben, auf der Köhlbrandbrücke, mit siebenunddreißig Kindern an Bord. Ihre Forderung war, dass wir ihre in Fuhlsbüttel inhaftierten Gesinnungsgenossen freigeben sollten. Falls ich mich weigerte, drohten sie damit, das Fahrzeug mitsamt den Insassen in die Tiefe zu stürzen. Wir mussten davon ausgehen, dass sie diese Drohung wahrmachen würden.»
    «Sie …»
    «Die Frage, ob ich ein Held bin, ist abwegig!» Die alten Augen funkelten ungehalten.
    Die habe ich auch nicht stellen wollen, dachte Jörg Albrecht. Doch er verstand den Reflex des alten Mannes. Schließlich war der ehemalige Bürgermeister oft genug mit ihr konfrontiert worden.
    «Ich entschied, den Bus stürmen zu lassen», murmelte Schultz. «Nach Abwägung sämtlicher Möglichkeiten war ich zu der Überzeugung gelangt, dass mir keine andere Wahl blieb. Den Forderungen der Entführer nachzugeben, kam nicht in Frage, und der Zustand wurde unhaltbar.»
    «Sie mussten damit rechnen, dass es Opfer geben würde.»
    «Die hat es auch gegeben!» Ein Schnauben. «Unter den Entführern! – Doch wäre eines der Kinder getötet worden oder einer der Beamten …» Eine Handbewegung in den Raum. «Ich wäre am nächsten Tag zurückgetreten.»
    Und das sollte etwas heißen, dachte Albrecht. So wichtig wie Schultz sein Amt genommen hatte.
    Die Hand voller Altersflecken zitterte, als der ehemalige Bürgermeister sich eine neue Zigarette anzündete und das Feuerzeug neben das Schachbrett legte.
    Der Blick des Hauptkommissars fiel auf die in Startposition aufgereihten Figuren, weiß auf seiner Seite, schwarz bei Schultz. Nächsten Monat würde es umgekehrt sein.
    Seine Augen blieben am schwarzen König hängen.
    «Sehen Sie diese Figur, Herr Bürgermeister?», fragte er. «Das sind wir. Sie und ich. – Sie damals, ich heute. Wir sind es, die die Entscheidungen treffen, unsere Männer da rausschicken. Wir müssen damit leben, dass es Opfer gibt – und die Verantwortung dafür tragen.»
    Aufmerksam betrachtete Schultz die Phalanx der holzgeschnitzten Figuren. Kein Nicken, lediglich ein neuer Rauchkringel.
    Dann: «Ihr Vergleich hinkt», murmelte der alte Mann. «Eine Spielfigur ist eine Spielfigur. Nicht sie trifft die Entscheidungen,

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