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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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abzunehmen.
    Und der Kameramann hatte sich wieder berappelt und das Aufnahmegerät auf seine Schulter gesetzt.
    Er schneidet das alles mit. Die Erkenntnis jagte durch meinen Kopf. Und mit Sicherheit sind sie live auf Sendung. Das gibt die Quote des Jahres.
    Albrecht musste das im selben Moment erkannt haben. Plötzlich ließ er von der Pressefrau ab, trat einen Schritt zurück.
    Und plötzlich war alles anders.
    Es gab eine Sache an diesem mittelgroßen Mann mit seinen edlen Anzügen, den eisgrauen Haaren, den tiefen Falten um die Augen, der Nase und dem Kinn, die beide irgendwie eine Nummer zu groß waren … eine Sache, bei der man einfach sprachlos war, wenn man sie zum ersten Mal erlebte.
    Jörg Albrecht konnte zaubern.
    Wenn er nur wollte, konnte er für ein paar Sekunden die Welt anhalten. Womöglich war ihm das gar nicht bewusst, aber wenn er sich in einer bestimmten Weise hinstellte, auf eine bestimmte Weise sprach, hatte dieser Mann eine derartige Ausstrahlung, eine natürliche Autorität – man konnte einfach nicht anders. Sekundenlang vergaß man, was man gerade hatte tun wollen. Man stand einfach da und musste ihm zuhören.
    «Frau Stahmke, ich fordere Sie auf, diese Übertragung auf der Stelle abzubrechen und uns aufs Revier zu begleiten.»
    Auf die Journalistin schien der Zauberbann nur bedingt zu wirken. Sie musterte ihn spöttisch. «Ich bin verhaftet?» Sie sah über die Schulter. «Paul auch?»
    «Sie beide sind hiermit vorläufig festgenommen wegen dringenden Tatverdachts des Mordes an Frau Kerstin Ebert.» Er sprach vollkommen ruhig. «Sie sind verpflichtet, mir Ihre Personalien bekanntzugeben. Darüber hinaus haben Sie das Recht, zu schweigen. Wenn Sie dennoch eine Aussage machen, kann diese von nun an gegen Sie verwandt werden. Sie haben das Recht auf einen Anwalt. – Haben Sie das verstanden?»
    «Sie machen sich lächerlich!»
    Ein wenig lauter, eine Nuance nur: «Haben Sie das verstanden?»
    «Ja, ich habe verstanden.» Stahmkes Stimme zitterte, doch ich sah auch das siegesgewisse Blitzen in ihren Augen. «Damit kommen Sie im Leben nicht durch.»
    Natürlich hatte sie recht, und Jörg Albrecht musste das wissen. Und wenn Isolde Lorentz persönlich in die Bresche sprang, um ihm den Hintern zu retten – was sie nicht tun würde. Für diese Aktion zur besten Sendezeit würde er sich verantworten müssen.
    Doch Albrecht zuckte nur die Schultern, und damit endete der Bann.
    Einer der uniformierten Beamten legte die Hand vor das Objektiv der Kamera. Der Mann, der sie bediente – Paul –, ließ sich ohne Gegenwehr festnehmen. Auch Margit Stahmke räumte nun widerstandslos die Stellung, als Jörg Albrecht sie mit einer einladenden Geste aufforderte, das Gräberfeld zu verlassen.
    Endlich konnte auch ich mich wieder bewegen – und gegen meinen Willen richteten sich meine Augen auf das Bündel, das Kerstin gewesen war.
    Unmöglich zu sagen, an welcher Verletzung sie gestorben war. Sie war ja kaum noch als Mensch zu erkennen. Dass es Kerstin war, wusste ich nur, weil ich es einfach
wusste
.
    Rohes Fleisch, übersät mit Wunden, und doch … Es war völlig anders als bei Ole Hartung. Ihrer Haltung nach war sie zu Füßen eines der Grabsteine zusammengesunken, den Rücken halb gegen den dunklen Marmor gelehnt. Wären nicht diese schrecklichen Entstellungen gewesen, hätte man glauben können, sie würde einfach nur schlafen. Soweit ich erkennen konnte, war sie vollständig bekleidet. Doch diese Wunden: Beulen, Schwären, aufgeplatztes, vereitertes Fleisch. Als hätte ihr Körper von innen her gekocht, Blasen geworfen.
    Oliver Ebert wand sich in Lehmanns und Fabers Umklammerung, doch auf mich wirkten seine Bewegungen nur noch wie schwache Reflexe. Er war kaum mehr bei Besinnung. Kerstin … und sein Kind, sein ungeborenes Kind …
    Jetzt wurden meine Kollegen durch die uniformierten Beamten abgelöst. Schwankend machte ich einen Schritt auf Kerstins Überreste zu. Ich musste vorsichtig sein, wir alle. Im
Fleurs du Mal
, wo alles voll gewesen war mit Finger-, Fuß- und Sonstwas-Abdrücken ungeklärter Herkunft, hatte die Spurensicherung keine Chance gehabt; hier konnte das ganz anders aussehen. Die Auffindungssituation. Deshalb vor allem mussten wir verhindern, dass Oliver zu der Leiche vordrang. Doch ich musste zumindest …
    «Bleibt stehen! Alle!»
    Ich zuckte zusammen.
    Martin Euler hatte ich fast vergessen. Er hatte sich die ganze Zeit im Hintergrund gehalten, noch ein ganzes Stück

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