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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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verzog das Gesicht. «Hast du den Lackaffen nicht gesehen? Der Staatsanwalt war hier, aber der ist nach fünf Minuten eingeknickt. Kein dringender Tatverdacht. Der Chef hätte garantiert irgendwas gedreht, aber wie sollte ich …»
    Das Lämpchen begann wieder zu blinken.
    Nachdrücklich betätigte ich noch einmal die beiden Wundertasten. Nichts geschah.
    Die Tür wurde aufgerissen. Nils Lehmann. Seine Frisur, deren Konstruktion ich bis heute nicht durchschaute, hatte sich in ein Vogelnest verwandelt.
    «Chef, da draußen …» Er sah sich um. «Wo ist Albrecht? Da draußen …»
    «Zu Hause», sagte ich knapp. «Du holst ihn ab.»
    «Weißt du, wie lange ich gebraucht habe, einen Parkplatz zu finden? Unserer ist völlig überfüllt.»
    «Du holst ihn ab!», versetzte ich scharf und warf ihm meinen Autoschlüssel zu. «Nimm meinen Wagen! Brich die Tür auf, wenn’s sein muss, aber bring ihn her! – Die Tür von Albrechts Wohnung», fügte ich vorsichtshalber hinzu. Ich sprach mit Lehmann, da war Vorsicht angesagt.
    Irmtraud Wegner steckte den Kopf durch den Türrahmen. «Die Polizeipräsidentin ist in der Leitung!»
    Ich schluckte und starrte auf das Telefon.
    «Und beeil dich!», murmelte ich.
    Doch Lehmann war schon verschwunden.
    ***
    Sie waren gefürchtet.
    Niemand im Dorf legte sich ohne Not mit ihnen an.
    Sie nannten sich die
Spinnenbande
, nach
Boris the Spider
, einem Song von
The Who
, einer der Musikgruppen, die Svens älterer Bruder hörte.
    Ein
Spider
, das war eine Spinne.
    Warum die Spinne in diesem speziellen Song Boris hieß, blieb ungeklärt. Spinnenbande klang eindrucksvoll genug.
    Sie waren zu fünft, und sie waren neun Jahre alt. Jörg Albrecht würde zehn werden, noch bevor die großen Ferien zu Ende waren, und damit war er fast selbstverständlich der Boss.
    Es war kein leichter Job als Boss. Man musste immer den Durchblick haben, oder zumindest mussten Sven, Uwe, Jens und David das Gefühl haben, dass man den hatte. Doch meistens war das gar nicht so kompliziert. Wenn man keinen Plan hatte, reichte es aus, halb wissend, halb gelangweilt zu nicken und die Rede auf ein anderes Thema zu bringen, das ja nun wirklich
praller
war.
    Jörg war sich nicht sicher, wer von ihnen das mit dem
prall
aufgebracht hatte. Als Boss musste er das eigentlich selbst gewesen sein. Prall war jedenfalls alles, was spannend war und möglicherweise gefährlich. Sachen, die einem von den Eltern verboten wurden. Von Davids Eltern sowieso. Aber die waren auch denkbar unprall.
    Richtig prall, und da waren sich alle eilig, war hingegen das
Revier
.
    Das Gelände hinter dem Teich war mit meterhohen Maschendrahtzäunen gesichert, und überall gab es warnende Schilder:
Vorsicht, Schleusenanlage! Lebensgefahr!
    Die Mitglieder der Spinnenbande waren die Einzigen, die die Lücke in diesem Zaun kannten, unsichtbar hinter einer Reihe mächtiger Kiefern.
    Das Revier war ihr Hauptquartier. Hier planten sie ihre Einsätze und Expeditionen. Aus Brettern und Wellblechwänden hatten sie sich eine Höhle gebaut, in der man auch bei Regenwetter im Trockenen sitzen oder Donald-Duck-Hefte tauschen konnte oder was sonst so anstand. Die Höhle war dabei noch mal zusätzlich gesichert, weil man erst mal über den umgestürzten Baumstamm balancieren musste. Der lag quer über dem Bach, wo die Strömung noch nicht so unheimlich war wie direkt an der Schleuse.
    Das Revier war der Mittelpunkt ihres Lebens in diesem Sommer, dessen Ende einer von ihnen nicht erleben sollte.
    Der Juli war brütend heiß. Die Nachmittage waren nur zu ertragen, wenn man vom Baumstamm aus die Füße ins Wasser baumeln ließ. Ab und zu in den Bach spucken oder Steine reinwerfen, das war schon das Höchste der Gefühle. Abwarten, dass der Sog das Treibgut erfasste, es plötzlich mit sich riss, auf die Staumauer aus Beton zu, wo das Wasser gurgelnd, brüllend in die Tiefe stürzte.
    Die Schleuse selbst war nicht schön, eher ziemlich unheimlich. Von der Schleuse hielten sie sich fern.
    Dann kam der August. Noch zwei Wochen bis zum Ende der Ferien und elf Tage bis zu Jörgs Geburtstag.
    Und mit dem August kam der Sturm.
    Er ging mit einem Gewitter los. Jörgs Vater wurde zu einem Einsatz der Feuerwehr gerufen. Der Blitz war in eine der alten Eichen vor Bauer Lambrechts Hof eingeschlagen, und die war in die Scheune gestürzt. Noch tagelang, auch nachdem alles vorbei war und die Spinnenbande nicht mehr existierte, sollte das ganze Dorf nach Rauch und Asche stinken.
    Dann

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