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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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Sie mich?»
    Lehmann.
    Sein Puls jagte.
    Auf Hauptkommissar Jörg Albrechts Zunge lag der Geschmack von Tod und braunem Wasser.
    Der Traum, die Erinnerung war seit Jahren nicht so deutlich gewesen.
    ***
    «Und können
Sie
noch richtig schlafen?»
    Achtung, dachte ich, Fangfrage.
    Wir saßen in der Teeküche des Reviers. Faber, ich selbst und ein halbes Dutzend Kollegen, die sich durch die Traube von Journalisten hatten kämpfen können, die das Gebäude nach Margit Stahmkes effektvollem Abgang weiterhin belagerte. Irmtraud Wegner hatte auf meine Anweisung hin den Hörer danebengelegt und lehnte an der Anrichte.
    Vor uns flimmerte der altersschwache Fernseher, den wir kurz nach meinem Einstieg beim PK von den Steuermillionen der braven Bürger angeschafft hatten.
    Die gestresst wirkende Frau, der das Mikrophon – Kanal Sieben diesmal – unter die Nase gehalten wurde, schüttelte heftig den Kopf. «Als Mutter ist man ja ständig in Sorge.» Sie nickte zu ihrer kleinen Tochter, die versuchte, sich vor der Kamera zu verstecken. «Dschamilia weiß, dass sie nicht mit Fremden mitgehen darf. Aber wenn einer einfach so rumläuft und die Leute mit
Atom
vergiftet?»
    Der Reporter nickte mit ernster Miene. «Wobei sich der Täter bisher auf Polizeibeamte zu konzentrieren scheint», merkte er an. «Aber fragen wir weiter. – Haben Sie sich schon einen Geigerzähler besorgt?»
    Mir genügte der Gesichtsausdruck des Rentners, dem das Mikrophon nun vor den Mund gehalten wurde. Ich schaltete den Ton ab.
    «Mit Ole Hartung hat er ihren Voyeurismus bedient», sagte ich leise. «Jetzt sät er Panik.»
    «Oder sie», murmelte Faber. «Aber du hast schon recht: Erschlag mich, aber diese ganze Planung und Berechnung, das sieht nach einem Mann aus.»
    Ich nickte, war selbst aber keineswegs überzeugt. Nach meiner Erfahrung konnten Frauen mindestens ebenso berechnend sein. Seitdem ich auf dem Kommissariat war, hatten wir zwei Fälle von Pflegerinnen gehabt, die über einen langen, langen Zeitraum ihre bettlägerigen Patienten über den Jordan befördert hatten. Aus Geldgier in einem der Fälle, aus schierer Arbeitsüberlastung im zweiten. Ich war mir nicht sicher, welcher von beiden mir unheimlicher war.
    Aber ich hätte darauf wetten können, dass wir wie so oft nur die Spitze des Eisbergs kannten.
    Und letztendlich: Was brachte es uns, wenn wir das Täterfeld von hundert auf fünfzig Prozent der Bevölkerung eingrenzen konnten?
    Was wir brauchten …
    «Bericht!»
    Jörg Albrecht rauschte in den Raum. Anzug und Mantel saßen perfekt wie immer, doch seine Augen lagen tief in ihren Höhlen. Der Anblick jagte mir einen Schreck ein.
    «Isolde Lorentz hat angerufen.» Irmtraud Wegner hielt ihm einen ihrer tödlichen Koffeincocktails hin. «Sie will Sie dringend sprechen.»
    Er griff nach dem Kaffee, während er mit der anderen Hand seine Nasenwurzel massierte.
    «Kann mir vorstellen, warum», sagte er, nachdem er einen Schluck genommen hatte. «Bitte erzählen Sie mir etwas Erfreuliches! Irgendwas. Faber?»
    Der Glatzkopf wurde bleich. «Ich konnte nichts machen! Merz ist einfach reinmarschiert, und der Staatsanwalt …»
    Der Hauptkommissar hob die Hand, nahm noch einen Schluck.
    «Das ist ärgerlich.»
    Nur dieser eine Satz, und ein winziges Aufflackern in seinen Augen. Mehr nicht.
    Wahrscheinlich war ich die Einzige im Raum, die ansatzweise eine Vorstellung davon hatte, wie verärgert und, ja, bestürzt er über das Verschwinden der Frau war, die unsere wichtigste, womöglich sogar einzige Spur dargestellt hatte.
    Und es gab niemanden, dem er die Schuld dafür geben konnte als sich selbst. Wieder einmal. Und ich hatte keinen Zweifel, dass er das auch voll perverser Wollust tun würde.
    Allerdings war er viel zu klug, das hier und jetzt und obendrein vor dem ganzen Team zum Thema zu machen.
    Albrecht winkte ab. «Der Staatsanwalt kann auch nur die Fakten prüfen, und in diesem Fall waren die Fakten gegen uns. Wir mussten die Zecke vom Tatort wegkriegen. Das war das Wichtigste. Es ist schlimm genug, wenn ein Mensch stirbt, und alle stehen drum rum und keiner kann was tun …»
    Sein Blick ging an mir vorbei zum Fenster. Was sieht er wirklich, dachte ich. Etwas an ihm war anders heute Morgen. Etwas wie ein Zweifel, ein Selbstzweifel, der vorher nicht da gewesen war.
    Oder den er zumindest gut versteckt hatte.
    Er schüttelte den Kopf. «Es ist nicht auch noch notwendig, dass jemand mit unseren Toten Geld verdient.»
    Unsere Toten.

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