Ich bin der Herr deiner Angst
jemand weitere Vorschläge?»
«Er muss die Sache seit langer Zeit geplant haben», warf ich ein. «Martha Müller hat Kerstin und den Opa seit dem Sommer beobachtet. Und was Ole Hartung betrifft …» Ich zögerte, sah mich zu den Kollegen um. «Könnt ihr euch vorstellen, dass sie ihn an dem Abend einfach auf der Straße angesprochen hat?»
Max Faber schüttelte den Kopf. «So war Ole nicht. Wie auch immer er auf diesen Stuhl gekommen ist: Er war vorsichtig. Er muss diese Frau gekannt haben. Wenn sie eine Frau …»
Albrecht winkte ab, nickte und fügte einen vierten Punkt an:
plant lange im Voraus
«Das war es?» Fragend sah er uns an.
Zögernd nickten wir.
«Das», betonte er, «sind die Dinge, die wir über den
Täter
wissen. Doch das
Wer
hat eine zweite Dimension. Wer sind die Opfer? Was verbindet sie?»
«Hatten wir das nicht schon?», fragte ich. «Sie waren unsere Kollegen.»
«Richtig. Deshalb werden wir unsere zurückliegenden Fälle systematisch durchgehen. Faber.» Er zögerte. «Seydlbacher. Matthiesen. Sie drei machen das.»
Ein dreistimmiges, mühsam unterdrücktes Stöhnen. Nein, sonderlich attraktiv klang diese Aufgabe nicht.
Ob sie in Fabers Fall vielleicht doch eine subversive kleine Rache darstellte, dass Stahmke entwischt war? Alois Seydlbacher war unser Quotenbayer, während einen bei Matthiesen das beklemmende Gefühl überfiel, in einem Schwarzweißfilm gefangen zu sein, so farblos war der Mann. Zumindest waren in diesem Team eine Menge unterschiedlicher Ansätze versammelt. Vielleicht war das von Vorteil.
«Diese Aufgabe ist wichtig.» Albrecht hob den Folienschreiber. «Aber wir müssen sie im Zusammenhang mit einer zweiten Frage betrachten: Warum Hartung und Ebert? Warum nicht Sie?» Die Spitze des Eddings stach nach Lehmann. «Oder Sie? Oder Sie?» Ich schluckte. «Oder Sie?»
Ein halblautes «Joa, hammas denn noch?» aus Richtung Seydlbacher.
«Was zeichnete sowohl Kerstin Ebert als auch Ole Hartung aus, abgesehen davon, dass sie unsere Kollegen waren? Eine Frau von Anfang vierzig, ein Mann kurz vor der Pensionierung. Wo sind die Gemeinsamkeiten?»
«Sie waren verheiratet.» Das war Lehmann.
«Beide hatten Kinder.» Matthiesen.
«Sie waren beide schon ein halbes Leben dabei», meldete sich Faber. «Schon bei Horst Wolfram.»
Albrecht notierte.
verheiratet
Kinder
lange Dienstzeit in der Abteilung
«Was noch?»
«Die Familien waren befreundet», sagte ich zögernd.
Das war ein Gedanke, der mir ganz und gar nicht gefiel. Bis gestern, bis zu meinem Besuch bei Sabine Hartung, war mir nicht klar gewesen, dass die Eberts und die Hartungs so dicke miteinander waren. Aber natürlich wohnten sie nah beieinander, und die Kinder waren sicherlich auch eine Verbindung, obwohl sie altersmäßig ein ganzes Stück auseinander waren.
Doch vor allem war Kerstin
meine
Freundin gewesen! Nicht mit Ole Hartung, sondern mit Dennis hatte Oliver Ebert das Segelboot gekauft.
Unser Chef betrachtete mich. Mit den Albrechts war keiner von uns wirklich befreundet gewesen, auch nicht bevor seine Joanna mit ihrem Zahnarzt durchgebrannt war. Doch ich war mir sicher, dass in diesem Kriminalistenhirn Fächer und Registraturen für so ziemlich
alles
vorhanden waren. Eingeschlossen das Privatleben der Kollegen.
Meine eigensten, finstersten Ahnungen: Ich glaubte förmlich zu spüren, wie er sie mir aus der Nase zog wie lange, haarige Würmer.
befreundet (?)
Albrecht schrieb das Wort an das Whiteboard. Mit einem unübersehbaren Fragezeichen.
Das ließ sich ja auswischen, falls Hannah Friedrichs die Namen im Zentrum der Grafik zu einem Dreigestirn ergänzte.
«Weitere Gemeinsamkeiten?»
Er sah auf die Uhr. Automatisch tat ich dasselbe. Für zwölf Uhr mittags hatte ihm Isolde Lorentz einen Audienztermin zugesichert. Auch Jörg Albrecht kannte seine Grenzen. Er würde sie nicht warten lassen.
«Gut.» Er nickte und betrachtete noch einmal das Schaubild.
Diese Visualisierung gehörte zum Standardwerkzeug der Ermittlungsarbeit und lief anderswo längst über Powerpoint und Excel-Tabellen. Doch irgendwie hatte diese analoge Form etwas Behagliches.
Normalerweise zumindest. Solange man sich nicht zum Kreis der potenziellen Opfer zählen musste.
«Dann verteilen wir die Aufgaben. – Friedrichs?»
Fragend sah ich ihn an.
«Sie waren bei Frau Müller dabei – und Sie kennen die Familie Ebert am besten.» Klar, dass er das gewusst hatte. «Wir haben Martha Müller nicht ausdrücklich danach
Weitere Kostenlose Bücher