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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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gefragt, aber sie hat uns berichtet, dass sie Kerstin Ebert sowohl mit ihrem Sohn als auch mit dem alten Mann im Rollstuhl gesehen hat. Falls der Junge den Täter ebenfalls gesehen hat, war er mit Sicherheit sehr viel näher dran. Fahren Sie bitte noch einmal zur Wellingsbütteler Landstraße und schauen Sie, ob Sie mit dem Kind sprechen können.»
    «Mit
Raoul
?» Meine Stimme überschlug sich. Alles in mir wehrte sich gegen diesen Gedanken. Der Junge war fünf! Er hatte heute Nacht seine Mutter verloren! Hatte er das überhaupt schon erfahren? Konnte er es
begreifen
, wenn er es erfahren hatte?
    «Das Kind ist ein Zeuge.» Ich sah die Entschlossenheit auf Jörg Albrechts Gesicht. Auch, dass ihm nicht wohl war bei der Sache, sah ich, doch er würde nicht nachgeben. «Wenn Sie wollen, sprechen Sie zuerst mit dem Witwer, doch ich sage Ihnen voraus: Weder hat er diesen alten Mann jemals zu Gesicht bekommen, noch weiß er überhaupt etwas von dessen Existenz. Unser Täter konzentriert sich auf seine Zielperson. Für alle anderen, gerade die Menschen in ihrer Umgebung, bleibt er ein Phantom. Der Junge könnte die eine entscheidende Ausnahme sein. Gerade weil es unwahrscheinlich erscheint, dass wir mit ihm ein Gespräch führen. – Bitte, Hannah! Sie können das. Es ist wichtig.»
    Ich nickte, so abgehackt, dass mir der Nacken wehtat.
    Der Hauptkommissar holte Luft. «Lehmann?»
    «Ja?» Ein Blinzeln. «Ich hab mir gedacht, ich spreche noch mal mit Jacqueline.»
    Diesmal blinzelte Albrecht überrascht zurück.
    «Was willst du sie fragen?», knurrte Max Faber. «Ob Catwoman auch ein Rentner im Rollstuhl gewesen sein kann?»
    «Er saß nicht im Rollstuhl», widersprach Nils Lehmann. «Ich meine: Er saß schon im Rollstuhl, aber das war ein Teil seiner Tarnung. Den Rollstuhl brauchte er für Kerstin.»
    Ich nickte. Das stimmte mit Sicherheit.
    «Das könnte durchaus noch was bringen mit Jacqueline», erklärte Lehmann. «Vielleicht fallen ihr ja sogar noch Namen von Kunden ein, die an dem Abend da waren, und einer von denen kennt womöglich den Täter. Ich habe das Gefühl, ich bekomme langsam Zugang zu ihr.»
    «Aha.» Albrecht musterte ihn. Ein einziges Wort konnte Bände sprechen.
    Doch dann sah er auf die Uhr. Jeder von uns wusste, dass die Fahrt nach Winterhude um diese Uhrzeit kein Vergnügen war. Wenn der Anlass eine Besprechung mit Isolde Lorentz war, war sie das eigentlich nie.
    «Gut», sagte der Chef. «Dann machen Sie das. Und wenn Sie dort fertig sind …» Kunstpause, die nächsten Worte besonders betont: «… also spätestens gegen sechzehn Uhr, setzen Sie sich mit Winterfeldt zusammen.»
    Ein Nicken in die letzte Reihe. Hinter einem Laptopbildschirm hob sich eine bleiche Hand und winkte in die Runde, als bestände sie komplett aus Gummi. Der Rest der Gestalt blieb verborgen. Marco Winterfeldt war unser Fachmann für die Computerarbeit. Besonderes Kennzeichen: Heavy-Metal-Mähne. Sah man aber nur in dem seltenen Fall, dass er hinter seinem Computer zum Vorschein kam.
    «Sie beide werden sich Hartungs Rechner vornehmen», erklärte Albrecht. «Hartung hat den Auftrag für das
Fleurs du Mal
vor mehreren Monaten bekommen. Madame Beatrice und Jacqueline sagen aber übereinstimmend aus, dass er vorgestern Abend zum ersten Mal persönlich dort war. Die Frage ist: Was hat er bis zu diesem Zeitpunkt gemacht? Wenn er die Person, die ihn getötet hat, nicht aus dem Club kannte, woher kannte er sie dann? Ich befürchte zwar, dass diese Person zu vorsichtig ist, nachvollziehbare Spuren zu hinterlassen, doch es ist zumindest eine Chance. Alle übrigen Anwesenden widmen sich bitte den neuen Hinweisen, die seit heute Morgen eingegangen sind. Irmtraud bereitet Ihnen gerade eine Liste vor.»
    Ich sah die Begeisterung auf den Gesichtern.
    Albrecht war schon an der Tür, blieb aber noch einmal stehen.
    «Eins noch, und das gilt für Sie alle, ganz gleich, mit welcher Aufgabe Sie sich befassen: Ich möchte, dass Sie sich überlegen, ob es irgendjemanden gibt, mit dem Sie in der letzten Zeit näher bekannt geworden sind. Auf eine Weise, die eigentlich eher ungewöhnlich ist für Sie persönlich. Jemand, der die Bekanntschaft vielleicht von sich aus gesucht hat und der zum Rest Ihres Lebens keine rechte Beziehung hat. Jemand, von dessen Existenz – aus welchen Gründen auch immer – selbst die Menschen, die Ihnen am nächsten stehen, nichts ahnen. Versuchen Sie einen längeren Zeitraum zu überblicken. Die letzten Monate.

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