Ich bin der Herr deiner Angst
zum Beispiel. Oder Krankheiten. Die hinterlassen ihre Spuren.»
Albrecht nickte. Warum sollte er das Angebot zurückweisen? Doch viel Hoffnung hatte er nicht.
«Danke», sagte er und steckte die Karte ein. «Aber falls Sie nicht gerade explizit was über Augenkrankheiten haben …»
«Augenkrankheiten?» Verwirrt starrte der junge Mann ihn an.
«Jonas?»
Wolczyk sah über die Schulter. Maja Werden stand schon in der Tür und nickte Albrecht noch einmal mit einem eher kühlen Lächeln zu.
«Ja, dann müssen wir wohl», murmelte Wolczyk – und war hinter ihr verschwunden.
Kopfschüttelnd sah Albrecht den beiden nach. Ein seltsames Paar. Wenn sie denn ein Paar waren.
«Sie fragen sich, ob die beiden zusammen sind?» Möllhaus war dabei, seine Papiere zu stapeln, und grinste dem Hauptkommissar zu. Spezielle Technik hin oder her – er sah müde aus. «Diese Frage stelle ich mir seit Jahren», murmelte der Professor.
Der Hauptkommissar hob die Schultern. «Wissen Sie, wenn ich mich für das Liebesleben meiner Mitarbeiter interessieren würde …»
«Das tun Sie nicht?» Möllhaus ließ die Unterlagen in eine abgegriffene Aktentasche aus Leder gleiten, auf der ein Anti-Atomkraft-Sticker der ersten Generation prangte. «Das sollten Sie aber. Nicht allein wegen der gruppendynamischen Prozesse. Wir alle bemühen uns natürlich, eine Causa möglichst objektiv zu verfolgen, doch gleichzeitig laufen Prozesse ab, die wir beim besten Willen nicht steuern können. Unbemerkt, auch für uns selbst. Zwischen Ihnen und Ihren Mitarbeitern, Ihren Mitarbeitern und den Zeugen, Ihnen und den Verdächtigen. Tausend wirre Fäden.»
«Mir genügen schon die, die wir heute Abend zu sehen bekommen haben», murmelte Albrecht.
Ein verständnisvolles Psychologenlächeln. «Ich werde die einzelnen Elemente noch einmal für mich ordnen. Mein Flieger geht um acht Uhr fünfundvierzig. Wenn Ihnen das nicht zu früh ist, könnten wir uns morgen früh um sieben hier noch einmal treffen. Keine Sorge, ich habe sowieso noch einen Termin mit Herrn Wolczyk. Seitenweise Verbrechergesichter, die ich mir über den Wolken zu Gemüte führen werde.»
«Das wäre ideal.» Albrecht nickte. Halb elf Uhr vormittags zurück in Hamburg? Das war realistisch, wenn er sich von Abkürzungen fernhielt.
«Ihre Kollegen übernachten für gewöhnlich in einem Hotel hier ganz in der Nähe, wenn wir zusammenarbeiten. Falls Sie nicht schon irgendwo anders gebucht haben …»
Albrecht hatte nicht. Er ließ sich die Adresse geben, bedankte sich und verabschiedete sich bis zum nächsten Morgen.
Nachdenklich machte er sich auf den Weg zu seinem Wagen.
Draußen war es kälter geworden. Ob es frieren würde heute Nacht?
Die Wolken hatten sich verzogen, doch kein einziger Stern stand am Himmel. Nichts als ein fahlgelber Mond.
Jörg Albrecht fragte sich, ob Hannah Friedrichs womöglich in seinem Licht gerade die entscheidenden Entdeckungen machte.
Sie hatte die gefährlichere und wichtigere Aufgabe übernommen an diesem Abend. Auf seine persönliche Bitte hin.
Wie Ole Hartung.
«Passen Sie auf sich auf, Friedrichs!», murmelte er und schüttelte den Kopf. «Ich wünschte, ich wäre jetzt an Ihrer Stelle.»
***
«Hmm? Gut so?»
«Guuuuuuuuuuuut»,
seufzte ich.
Nein, dachte ich. Sogar sehr gut in Anbetracht der Umstände.
In Anbetracht der Tatsache, dass ich nicht vollständig ausschließen konnte, dass der Mann, der mir gerade den Rücken massierte, nicht vielleicht doch unser Täter war.
Doch wenigstens hatte ich Vorsorge getroffen.
Ich hatte getan, was ich konnte, und das war nicht ganz einfach gewesen.
Wem sollte ich mitteilen, mit wem ich heute Abend unterwegs war und wo ich mich inzwischen befand: in einem schnuckeligen Appartement mit Blick auf die Außenalster, das jedenfalls nicht Joachim Merz’ Hauptwohnsitz darstellte. Das war eine Villa am Elbufer in Blankenese. Nein, diese Wohnung diente nur jenem Zweck, den sie auch in diesem Moment erfüllte.
Massage und mehr.
Das Badezimmer war ein Traum, inklusive kompletter Wellness-Pflegeserie für Damen. Ich wollte nicht darüber nachdenken, wer diese Annehmlichkeiten wohl alles schon genossen hatte.
Luxus. Ich war nicht sonderlich empfänglich für Luxus. Nein, normalerweise nicht.
Heute schon.
Nur änderte das nichts daran, dass der Mann, dem ich meinen Abend voll spätrömischer Dekadenz verdankte, nach wie vor als Verdächtiger gelten musste. Selbst wenn ich darüber noch mit keinem Menschen
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