Ich bin der Herr deiner Angst
unternehmen. Ist hübsch da oben, viel Natur.»
Klingt anders diesmal, kürzer.
Die Worte der Zecke auf der anderen Seite des Mercedes Coupé. Die Nachricht, die sie nach Henstedt gelockt hatte, hatte sich von den bisherigen Botschaften ihres Kontaktmanns unterschieden.
«Aber es ist nicht die Nummer ihres Informanten?», hakte ich ein.
Seine Lippen verzogen sich zu einem angedeuteten Lächeln. «Möglicherweise meldet er sich nie zwei Mal von derselben?», schlug er vor.
Ich schluckte. Das Ganze klang unglaublich – aber doch denkbar.
Oder mehr als das: Es war eine Erklärung. Die naheliegendste noch dazu nach Lage der Dinge.
Mir war schwindlig vor Erleichterung. Das war stärker als alles andere.
Ein neuer Tatort, ein neuer Mord? Nein. Die Streife der schleswig-holsteinischen Kollegen würde in Henstedt nichts anderes vorfinden als eine verärgerte Fernsehjournalistin, die auf der Suche nach
the next big thing
durch die Pampa stapfte.
Joachim Merz’ Blick ruhte auf mir. Er betrachtete mich, interessiert vor allem, und ich war mir dessen nur allzu bewusst.
Doch gleichzeitig besaß ich genug Geistesgegenwart, mir eine Gedankennotiz zu machen. Wir hatten zum ersten Mal ein Detail über den unbekannten Informanten. Eine Kleinigkeit nur, die als solche mit ziemlicher Sicherheit kaum Bedeutung hatte für die Ermittlungen: Er meldete sich nie zwei Mal vom selben Anschluss.
Im Grunde hatte Merz nicht mehr getan, als uns zu bestätigen, was wir bereits wussten. Der Informant existierte tatsächlich.
Es war ein Strohhalm, mehr nicht. Aber wenigstens das.
So weit die Auswirkungen auf den Fall. Die Auswirkungen auf
mich
dagegen …
Wenn Joachim Merz die Wahrheit sagte, hatte er diesen irrsinnigen Zauber tatsächlich nur aus einem einzigen Grund inszeniert: damit wir den Abend für uns hatten.
Wenn.
Doch konnte ich mir sicher sein? Dieser Mann
war
hochintelligent, das stand völlig außer Frage. Aber war ein noch so geniales und verbrecherisches Hirn in der Lage dazu, sich ein derartiges Verwirrspiel um sechs oder sieben Ecken auszudenken? Zwei meiner Kollegen kaltzumachen, Stahmke zum Tatort zu locken und dann die Sprache seiner eigenen Nachrichten zu verstellen, die Zecke diesmal in die Irre zu führen, um sich bei mir einzuschmeicheln?
Neunzig Prozent aller Kapitalverbrechen sind in Wahrheit fürchterlich simpel, und die Ermittlungen stellen keine echte Herausforderung dar. Das Bild des Tathergangs, das sich vom ersten Augenblick an aufdrängt, ist in aller Regel auch die schlichte Wahrheit.
Wenn ich meiner Juristen-Legende nun glaubte – tat ich das, weil es naheliegend und logisch war, dass er die Wahrheit sagte?
Oder tat es meinem angeschlagenen Ego einfach nur gut, wenn ein Mann wie Joachim Merz Himmel und Hölle in Bewegung setzte, um eine Nacht mit mir verbringen zu dürfen?
«Und?» Seine dunklen Augen sahen mich an. «Es ist noch etwas früh am Abend, aber nehmen wir einen Absacker? Für den Anfang?»
***
Jörg Albrechts Gedanken waren schließlich davongetrieben, während die Runde der Nachwuchspsychologen sich auf ein Terrain begeben hatte, auf das er ihr nicht mehr folgen konnte. Nicht mehr folgen
wollte
.
Zu erfahren, welche Phase seiner frühkindlichen Entwicklung der Täter möglicherweise übersprungen hatte, würde ihm nicht helfen, den Täter zu stellen.
Und doch hatte er heute Abend bereits eine Menge erfahren, was für die Ermittlung wichtig sein konnte.
Kriminalhauptkommissar Jörg Albrecht war durchaus Manns genug, eine liebgewonnene Einschätzung zu korrigieren.
Er hatte sich getäuscht. Die Experten der Rechtspsychologie konnten bei einer laufenden Ermittlung sehr wohl eine Hilfe sein, vorausgesetzt, der Leiter der Ermittlung behielt weiterhin die Fäden in der Hand.
Und Jörg Albrecht hielt sie nach wie vor fest gepackt. Lediglich einige Sekunden lang hatte er geglaubt, sein Gedankengebäude würde in sich zusammenstürzen.
Intentio vera nostra est manifestare ea, quae sunt, sicut sunt.
Die Tatsachen so darzustellen, wie sie sich in Wahrheit verhalten.
An diesen Tatsachen hatte sich nichts geändert und würde sich nichts ändern, ganz gleich, welche Theorien die angehenden Psychologen noch präsentierten, während sie Jörg Albrechts Aussage auseinandernahmen und neu zusammensetzten.
Der Täter war hochintelligent. Das war eine solche Tatsache. Die Intelligenz sprach aus jeder seiner Handlungen, auch über die eigentlichen Morde hinaus. Warum also kein Mediziner
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