Ich bin der letzte Jude
auf. Er fragt, ob wir die Scheren haben (wir alle haben uns eine
besorgt), und nimmt uns zu den traurigen Gaskammern mit, wo die Lebenden in
Tote verwandelt werden.
Er lässt uns in die erste Zelle ein, die zum Korridor und nach außen
hin geöffnet ist. An diesem schönen Sommertag dringen die Sonnenstrahlen in den
Raum und bis zu uns. Bei den Bänken stehen mehrere Dutzend Koffer.
Der Mörder befiehlt uns, unsere Plätze einzunehmen. Jeder von uns
geht hinter einen Koffer. Um uns herum stellt sich eine Bande von Ukrainern mit
Peitschen und geschulterten Gewehren auf. Wir warten eine Weile. Der Chef von
Treblinka kommt herein, ein großer, dicker Mörder von etwa fünfzig Jahren. Er
befiehlt uns, schnell zu arbeiten. Mit fünf Schnitten muss das Haar geschoren
sein. Wir müssen darauf achten, dass die Haare nicht auf den Boden fallen und
dass die Koffer ordentlich gefüllt werden. Er schließt mit den Worten:
»Sonst setzt es die Peitsche, ihr verfluchten Hunde!«
Wir sind wie zu Stein erstarrt. Nach ein paar Minuten
hören wir verzweifelte Schreie. Nackte Frauen erscheinen. Im Korridor weist ein
Mörder sie an, zu uns zu laufen. Er peitscht gnadenlos auf sie ein und schreit:
»Schneller, schneller!«
Ich schaue die Opfer an und traue meinen Augen nicht. Jede setzt
sich vor einen Friseur. Eine junge Frau kommt auf mich zu. Meine Hände sind wie
gelähmt, ich kann die Finger nicht mehr bewegen. Sie sitzen uns gegenüber und
warten darauf, dass wir ihr schönes Haar abschneiden. Ihr Weinen ist herzzerreißend.
Mein Freund neben mir schreit: »Denk dran: Wenn du zu langsam
arbeitest, wird es ein Mörder merken, und du bist verloren.«
Ich öffne die Finger meiner verdreckten Hand, ich schere der Frau
das Haar und werfe es in den Koffer. Die anderen tun dasselbe. Die Frau steht
auf. Sie ist sichtlich betäubt von den Schlägen, die sie bekommen hat. Sie
fragt mich, wohin sie jetzt gehen soll, und ich zeige ihr die zweite Tür. Ich
habe mich kaum umgedreht, da sitzt schon die nächste Frau vor mir, sie nimmt
meine Hand und will sie küssen: »Sagen Sie mir, was werden sie mit uns machen?
Ist das schon das Ende?«
Sie weint und fragt, ob es ein schmerzvoller Tod ist, ob es lange
dauert, ob man vergast wird oder Elektroschock bekommt.
Ich antworte ihr nicht. Sie drängt, sie will es unbedingt von mir
hören, denn sie weiß, dass sie verloren ist. Ich bringe es nicht über mich, ihr
die Wahrheit zu sagen, und beruhige sie. Der Wortwechsel hat nur ein paar
Sekunden gedauert, nicht länger als das Schneiden der Haare. Ich wende den Kopf
weg, denn ich schäme mich, ihr in die Augen zu sehen. Ein Mörder neben mir
brüllt: »Los, schneller die Haare schneiden!«
Die Frau ist vollkommen verwirrt. Einen Augenblick später hat sie
sich zusammengenommen und rennt davon.
Die Opfer setzen sich eins nach dem anderen, und die
Scheren schneiden, schneiden ununterbrochen. Weinen und Schreien. Die Frauen
sind verstört. Wir müssen zuschauen, wir können nichts sagen.
Eine ältere Frau setzt sich vor mich hin. Ich schneide ihr die Haare
ab, sie bittet mich um ein Letztes vor dem Sterben: Ich soll langsam schneiden,
denn nach ihr, bei meinem Kameraden, ist ihre Tochter dran, und sie wünscht
sich, mit ihr zusammen in den Tod gehen. Ich bemühe mich, langsamer zu
schneiden, und zu meinem Nachbarn sage ich, dass er dem Fräulein das Haar
schneller schneiden soll, damit beide zusammen in die Gaskammer gehen können.
Ich würde den letzten Wunsch dieser Frau gern erfüllen, aber ein
Mörder brüllt schon wieder, und die Peitsche geht auf meinen Kopf nieder. Ich
muss mich beeilen, ich kann nicht langsamer schneiden. Die Frau muss ohne ihre
Tochter gehen.
Während ich weiterschneide, höre ich Geschrei. Ein etwa
achtzehnjähriges Mädchen erscheint, sie fährt die anderen Frauen an: »Was habt
ihr? Ihr sollt euch schämen! Für wen weint ihr? Lachen sollt ihr! Sollen unsere
Feinde etwa sehen, dass wir voller Angst in den Tod gehen? Ihr seht doch, dass
sie sich an unseren Tränen erfreuen!«
Niemand bewegt sich. Aber die Mörder legen an Grausamkeit zu, und
das Mädchen hört nicht auf zu lachen, bis zum Ausgang.
Unter den Unglücklichen, die sich vor mich hinsetzen, ist auch ein
hübsches Mädchen, das mich bittet: »Schneiden Sie mir das Haar nicht ganz ab!
Wie seh ich denn dann aus!«
Ich antworte nicht, was kann ich schon sagen? Ich versuche, sie zu
beruhigen …
Eine andere Frau setzt sich vor mich. Sie löst die Nadeln
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