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Ich bin der letzte Jude

Ich bin der letzte Jude

Titel: Ich bin der letzte Jude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chil Rajchman
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wird …«
    Ich antworte leise: »Liebe Frau, dasselbe erwartet mich. Ich bin
doch auch ein Jude.«
    Die Frau hat Mühe aufzustehen, ein Peitschenhieb von dem Mörder, der
zwischen den Reihen durchläuft, geht auf sie nieder. Das Blut fließt über ihren
kahl geschorenen Kopf. Sie springt auf und rennt mit den anderen hinaus.
    Wir beenden unsere Arbeit und bleiben einen Moment an unseren
Plätzen stehen, denn der Weg ist noch von den nackten Männern besetzt, die in
die Gaskammer getrieben werden. Sie laufen zwischen zwei Ketten von Mördern,
von beiden Seiten kommen Peitschenhiebe und Gewehrkolbenschläge. Die Juden
laufen mit erhobenen Armen und gespreizten Fingern und rufen: Schma Israel, Schma Israel . Mit diesen Worten auf den Lippen
werden sie in den Tod getrieben.
    Der Zug der Opfer bricht ab, die Eisentüren werden
geschlossen, die letzten Schreie verstummen. Die Mörder erscheinen und führen
uns auf den Platz, denn die Mittagspause ist vorüber. Wir sortieren in aller
Eile, um Platz für neues Gepäck zu schaffen. Ich sortiere und trage die Sachen
in verschiedene Richtungen zu den Magazinen.
    So vergeht der Nachmittag. Die Uhr schlägt sechs. Bei
diesem Signal werfen wir die Arbeit hin und stellen uns zum Appell auf. Nachdem
uns Galewski, der Lagerälteste, gezählt hat, meldet er die Zahl an den
Chefmörder Kiwe weiter. Der befiehlt: »Vorwärts, rechts um!« Richtung Küche.
    Wie gestern bekommt jeder seine Suppe und geht in die Baracke. Ich stehe
mit meinem Freund Lejbl und mit Mojsche Etinger zusammen, die Tränen beginnen
zu fließen und hören nicht mehr auf. Wir fangen endlich an zu begreifen, wie
dieser Ort funktioniert. Es ist eine Fabrik, die durch Menschenopfer am Laufen
gehalten wird: gestern zwölftausend, heute fünfzehntausend, und so geht es
ununterbrochen weiter. Wir versuchen herauszufinden, was mit den Opfern
geschieht, sobald sie tot sind. Das gelingt uns nicht, denn die Toten kommen in
Lager Nr. 2 heraus, das von uns vollkommen isoliert ist. Wir haben auch
keinerlei Kontakt zu den Juden, die dort arbeiten.
    Wir fragen uns unablässig: Und danach? Wir beschließen, dass wir auf
jeden Fall versuchen müssen zu fliehen, denn früher oder später werden sie uns
sowieso töten.
    Wir beschließen, dass von morgen an jeder von uns versucht, einen
Teil des Geldes, das er bei der Arbeit findet, zu behalten, so sollen in den
nächsten Tagen mehrere Zigtausend Zloty zusammenkommen. Und wir suchen nach
einem Fluchtweg.
    Die Uhr schlägt neun. Das Licht wird gelöscht. Erschöpft
legen wir uns auf den nackten Boden, vor Schmerzen stöhnend, schlafen wir ein.
    Wir schlafen durch, bis uns um halb fünf das Signal weckt. Wir
tauchen aus bleiernem Schlaf auf; ich frage, ob es irgendwo Wasser zum Waschen
gibt. Mein Kamerad sagt, er habe sich seit zehn Tagen, seit seiner Ankunft,
nicht mehr gewaschen. Wir gehen zum Frühstück. Man gibt uns Kaffee und Brot.
Ich hebe etwas Wasser auf, um mich zu waschen. Wir treten an, und nachdem der
Kapo und der Vorarbeiter uns gezählt haben, führen sie uns auf den Platz, wo
wir zu arbeiten beginnen.
    Mein Kamerad und ich machen uns an die Arbeit. Wenn wir große
Scheine finden, versuchen wir sie vorsichtig zu verstecken, damit uns kein
Mörder erwischt: Das würde eine Kugel in den Kopf bedeuten. Wir verstecken das
gesammelte Geld in meinem Mantel. Nach ein paar Stunden Arbeit habe ich
ungefähr fünftausend Zloty zusammen, mein Kamerad Lejbl etwas mehr. In der
Mittagspause beschließen wir, mehr Geld beiseitezuschaffen, denn ohne Geld sind
wir auch in der Freiheit verloren.
    Am Nachmittag geht die Arbeit gut voran. Ich finde noch ein paar
Tausend Zloty. Es ist ungefähr zwei Uhr. Während ich sortiere, höre ich nicht
weit von mir die Stimme eines Mörders: »Komm her!« Ich lasse meine Arbeit
liegen und laufe zu ihm. Er sagt mir, dass ich warten soll, wie zwanzig Weitere
auch. Wir wissen nicht, was man von uns will. Andere Arbeiter kommen dazu. Weil
ich eine Durchsuchung fürchte, ziehe ich meinen Mantel, in den ich das Geld
gesteckt habe, sofort aus. Ich werfe ihn in eine Ecke, unter dem Vorwand, mir
sei zu warm. Ein paar Minuten später werden dreißig von uns auf den Hof
gebracht, wo die Ankommenden sich nackt ausziehen. Man durchsucht uns, um zu kontrollieren,
dass keiner von uns Geld oder Wertgegenstände versteckt hat. Bei einem von uns
finden die Mörder Geld. Er wird geschlagen, zur Seite geführt und erschossen.
    Ich gehöre zu den Letzten, die durchsucht

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