Ich bin die Nacht
und Orchideen beinahe umgekippt wäre. Sie wollte etwas sagen, als der Mann ohne Warnung ein Messer zückte und die Klinge in die Tischplatte trieb – mitten durch Maureens zitternde Hand.
Maureen schrie gellend auf. Sie versuchte die Hand wegzuziehen, doch sie war an die Tischplatte genagelt. Je verzweifelter sie sich zu befreien versuchte, desto schlimmer wurden die Schmerzen. Gehetzt blickte sie sich um, ob in Reichweite eine Waffe lag, die sie gegen den Fremden einsetzen konnte. Aber da lag nur ein Taschenbuch, in dem es um die Jagd nach einem Serienmörder ging.
»Pssst«, sagte der Fremde. »Seien Sie leise. Wir haben viel zu besprechen.«
Maureen verkrampfte sich vor Entsetzen, doch sie gehorchte. Ihre kurzen, rasselnden Atemstöße brachte sie allerdings nicht unter Kontrolle. Ebenso wenig ihre Tränen. Mit hörbarer Atemnot fragte sie: »Wer … wer sind Sie? Was wollen Sie?«
»Ich bin Francis Ackerman junior, und ich möchte ein Spiel mit Ihnen spielen.«
Stockend, von Schluchzern unterbrochen, fragte Maureen: »Warum tun Sie das?«
Ackerman schien die Frage zu verwundern. »Fragen Sie einen Löwen, wieso er Fleisch frisst? Warum das Gras grün und der Himmel blau ist? Manche Dinge sind nun mal, wie sie sind. Und ich bin, wie ich bin.«
Er stand auf, ging zur Anrichte und nahm einen Küchenwecker. Das kleine Plastikding war weiß und besaß ein Einstellrad. In schwarzer, schwungvoller Schrift stand in der rechten unteren Ecke des Ziffernblatts die Marke: Lux.
Der Killer setzte sich wieder an den Tisch. Er stellte den Wecker vor Maureen ab und drehte ihn mit der Hand, als würde er sich so etwas zum ersten Mal bewusst anschauen. »Ich liebe diese Dinger«, sagte er und blickte ihr tief in die Augen. »Ich muss zugeben, dass mich jede Vorrichtung begeistert, die das Verstreichen der Zeit misst. Merkwürdig, nicht wahr? Zeit ist etwas so Flüchtiges, Unfassbares. Dennoch bauen wir Geräte, mit denen wir das große Konzept der Zeit mithilfe eines hübschen kleinen Kastens messen und bewerten wollen, als könnten wir sie verstehen. Zeit ist immer im Fluss und verändert sich rings um uns ständig. Sie ist das Gewebe des Universums, und wir sind nichts, nur winzige Tröpfchen im weiten Meer der Zeit.«
Maureen starrte ihn verständnislos an, am ganzen Körper zitternd, während das Blut aus ihrer Hand über die Tischplatte rann.
»Wissen Sie, was mir gefällt?«, fuhr der unheimliche Fremde fort. »Dass Zeit unter dem Gesichtspunkt persönlicher Wahrnehmung relativ ist. Während Sie zum Beispiel hier in Angst und Schrecken sitzen, ein Messer in der Hand, kommt es Ihnen vor, als krieche die Zeit quälend langsam dahin. Doch für mich, der ich hier sitze und den Augenblick genieße, scheint die Zeit mit atemberaubender Geschwindigkeit zu verfliegen. Sie ist relativ, aber gerade das macht diesen Wecker so interessant.«
Er hielt den Küchenwecker hoch. »Ganz egal, wie sehr die Zeitwahrnehmung eines Menschen durch die Situation verändert wird, in der sich befindet – diese Uhr hier läuft konstant. Die Geschwindigkeit, mit der sie die Sekunden zählt, wird nicht davon beeinflusst, wer sie abliest. Das mag ich an der Zeit so sehr: Sie ist fair. Ganz gleich, wer man ist, was man getan hat oder wie viel man auf dem Konto hat, für alle vergeht die Zeit gleich schnell. Und früher oder später holt sie jedes Lebewesen auf diesem Planeten ein. Die Zeit ist der größte Killer von allen.«
Er stellte die Uhr vor Maureen auf den Tisch. »Zu Ehren dieses hochinteressanten Geräts wird unser Spiel für uns beide in einem Kampf gegen die Zeit bestehen. Wir nennen dieses Spiel ›Die Theorie der Relativität‹. Als Erstes stelle ich die Uhr auf sechs Minuten. Dann dürfen Sie sich irgendwo im Haus verstecken. Während Sie sich verstecken, sitze ich hier am Tisch und schaue zu, wie die Küchenuhr drei Minuten herunterzählt. Nachdem diese drei Minuten verstrichen sind, bleiben mir weitere drei Minuten, um Sie aufzustöbern. Wenn ich Sie innerhalb dieser Zeit finde, erleiden Sie einen Tod, der entsetzlicher ist als alles, was Sie sich vorstellen können. Wenn es Ihnen gelingt, mir zu entkommen, bis die Küchenuhr bei sechs Minuten klingelt, lasse ich Sie in Frieden, und Sie sehen mich nie mehr wieder.«
Ackerman stand auf und holte ein Geschirrtuch von der Anrichte. Dann ging er zum Küchenschrank und nahm zwei Gläser heraus. Maureens Blick verfolgte den offensichtlich Verrückten, während er die Gläser in
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