Ich bin die Nacht
Ihnen helfen?«, fragte er.
Marcus sah in den Augen des Mannes, dass er ein wenig argwöhnisch, aber durchaus zugänglich war. »Ich hoffe es, Sir«, antwortete er höflich. »Es ist mir unangenehm, Sie am späten Abend zu überfallen und um Hilfe zu bitten, aber mir bleibt keine andere Möglichkeit.«
Der Mann bemerkte die blutige Platzwunde an Marcus’ Stirn, die er sich zugezogen hatte, als der Wagen von der Straße abgekommen war. »Meine Güte, hatten Sie einen Unfall? Sind Sie verletzt? Soll ich einen Krankenwagen rufen?«
»Nein, Sir. Ich weiß nicht, wie ich das alles erklären soll. Es ist eine lange Geschichte.«
Ein väterlicher Ausdruck trat in das Gesicht des Mannes. »Warum fangen Sie nicht mit dem Anfang an und kommen am Ende dazu, wie Sie vor meine Tür gelangt sind? Und das so ehrlich wie möglich.«
Zu gern hätte Marcus jemandem alles anvertraut, was er wusste, konnte es aber nicht riskieren. Es wäre zu gefährlich für den Mann gewesen.
»Tut mir leid, Sir, aber ich habe nicht viel Zeit. Und je weniger Sie wissen, desto besser ist es für Sie.«
Der ältere Mann schüttelte entschieden den Kopf. »Das ist doch Unsinn. Unwissenheit ist niemals dem Wissen vorzuziehen, ganz egal, was das Wissen einen kostet. Apathie und Blindheit der Wahrheit gegenüber sind die Ketten, die uns zu Gefangenen in unseren eigenen Köpfen machen. Wenn wir …«
Aus dem Innern des Hauses drang eine resolute Frauenstimme. »Hältst du wieder eine deiner Vorlesungen, alter Mann, oder versuchst du auf deine unnachahmliche Art zu helfen?«
» Natürlich versuche ich zu helfen«, rief der Mann über die Schulter ins Haus, dann wandte er sich wieder Marcus zu. »Also, junger Mann, was ist geschehen?«
»Ich kann es Ihnen nicht sagen, Sir. Er wäre gefährlich für Sie.«
»Aber die Gefahr geht nicht von Ihnen aus«, entgegnete der Mann. »Ich sehe es in Ihren Augen. Ich bin ein guter Menschenkenner.«
»Und wenn Sie sich irren?«, fragte Marcus.
»Keine Bange, junger Freund, ich weiß mich durchaus zu verteidigen.« Seit dem Beginn des Gesprächs hatte der Mann die rechte Hand in der Tasche seines Kapuzensweatshirts verborgen gehalten. Nun zog er sie heraus und offenbarte, dass er die ganze Zeit eine Pistole in der Hand gehalten hatte. »Ich lasse Sie herein, aber die behalte ich bei mir. Wenn Sie Dummheiten machen, werden Sie sehen, wie gut ich mit dem Ding umgehen kann.«
Marcus lächelte. Er mochte diesen Mann. »Ist nur recht und billig.«
Drinnen winkte der Mann ihn zum Küchentisch, und die Frau brachte ihm ein Glas Wasser. Marcus trank es in großen Schlucken. Er hatte gar nicht bemerkt, wie durstig er war. Dann erzählte er seine Geschichte, so gut er konnte, und blieb dabei so aufrichtig, wie er es vermochte.
Der Mann, ein pensionierter Englischlehrer namens Allen Brubaker, und seine Frau Loren hörten ihm aufmerksam zu. Obwohl sie mehrmals skeptische Blicke tauschten, hatte Marcus den Eindruck, dass sie ihm seine Geschichte abnahmen.
Als Marcus geendet hatte, lehnte Allen Brubaker sich in seinem Stuhl zurück. »Das ist eine ziemlich verrückte Geschichte, Mr. Williams, das muss ich schon sagen. Aber wissen Sie was? Ich glaube Ihnen. Ich habe Gerüchte gehört und selbst schon Ähnliches vermutet. Wenn ich ehrlich bin, weiß fast jeder, dass hier in der Gegend irgendetwas faul ist. Und es geht weit darüber hinaus, dass der Sheriff den einen oder anderen Verbrecher tötet. Die Sache ist viel größer. Nur haben wir alle hier aus Angst weggeschaut. Vielleicht sehen wir auch nur, was wir sehen wollen. Ich weiß es nicht.« Allen schüttelte den Kopf. »Ich habe Geschichten gehört, der Sheriff und seine Leute hätten Menschen zum Schweigen gebracht, damit ihr Geheimnis gewahrt bleibt. Vielleicht hatten Sie recht, als Sie sagten, wir wären besser dran, wenn wir von nichts wüssten. Aber es liegt mir nicht, herumzusitzen und die Hände in den Schoß zu legen.« Er wandte sich seiner Frau zu. »Loren, weck die Kinder. Wir machen einen kleinen Ausflug.«
24.
Ackerman legte den Revolver auf den Tisch.
Alice Richards tauschte einen Blick mit ihren verängstigten Kindern, nahm alle Kraft zusammen und versuchte ihnen zu vermitteln, dass alles wieder gut würde. Doch ihre eigene Angst konnte sie nicht kaschieren.
Der Revolver, von dem sie geglaubt hatte, er wäre ihre Rettung, schien nun zum Instrument ihrer Vernichtung zu werden. Alice konnte nicht sagen, was ihr größere Angst machte: der Gedanke,
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