Ich bin die Nacht
Hieb riss sie aus ihrem Schockzustand und erfüllte sie mit noch größerer Angst als zuvor.
O Gott, schoss es ihr durch den Kopf. Ich habe unsere einzige Chance auf ein Überleben vertan.
Alice hörte, wie ihre Kinder weinten, als sie beobachtete, wie Ackerman zu seinem Platz am anderen Ende des Tisches zurückging. Dort blieb er stehen.
Dann seufzte er und nahm das Messer.
25.
Der Sheriff lehnte den Kopf an das Beifahrerfenster des Streifenwagens und betrachtete Lewis Foster, seinen Chief Deputy, der mit leerem Blick und in starrer Haltung hinter dem Lenkrad saß, wie immer ein braver Soldat. Als er sich wieder dem Fenster zuwandte und die Landschaft betrachtete, die an ihnen vorüberhuschte, schaukelten sich die Unsicherheiten und Ängste in ihm auf. Aber vor den Männern musste er gelassen bleiben und Zuversicht ausstrahlen. Er durfte sich seine Zweifel nicht anmerken lassen. Diese Fähigkeit war unverzichtbar für einen guten Polizeichef, doch er fühlte sich darum innerlich kein bisschen weniger kalt und roboterhaft.
Ackerman war entkommen. Marcus Williams befand sich auf der Flucht. Der Sheriff sorgte sich, die Ereignisse könnten bald so sehr eskalieren, dass jede Hoffnung erstarb, die Dinge in den Griff zu bekommen. Aber noch war der Zug im Gleis. Noch konnte er seinen Auftrag erfüllen.
Was wohl seine verstorbene Frau Kathleen von dem Mann halten würde, zu dem er geworden war? Dabei spielte das gar keine Rolle. Sie war tot. Sie konnte keine Scham oder Enttäuschung mehr empfinden, genauso wenig Stolz oder Freude. Doch es war der Schmerz über Kathleens Tod, der ihm die Kraft gab zu tun, was nötig war. Jedes Mal, wenn ihm Selbstzweifel kamen, dachte er an ihren geschundenen Leib und das Entsetzen in ihrem gebrochenen Blick.
Seine Gedanken wandten sich dem Monster zu, das vor so vielen Jahren seine Welt zerstört hatte. Die Polizei hatte den Mörder Kathleens am Ende gefasst, doch die Familie des Killers hatte einen hochkarätigen Verteidiger engagiert. Der aalglatte Anwalt zerriss den Fall in der Luft und erreichte, dass das belastendste Beweismaterial aufgrund unrechtmäßiger Durchsuchung und Festnahme nicht vor Gericht verwendet werden konnte.
Nicht schuldig.
Die ermittelnden Beamten hatten gehofft, dem Mörder wenigstens die eine oder andere Tat nachweisen zu können, aber dem Sheriff hatte es nicht gereicht.
Noch immer sah er das schäbige Hotel in allen Einzelheiten vor sich. Das Foyer war dunkel und kühl, die Wände wasserfleckig. In der Luft hing ein schwacher Geruch nach Schimmel und Verfall, nur unzureichend überdeckt von parfümierten Reinigungsmitteln. Endlich fand er Zimmer 208. Durch die Zeit und mangelnde Pflege waren die goldfarbenen Ziffern an der Tür angelaufen. Die 0 war heruntergefallen, aber man konnte ihre Umrisse noch sehen. Er hatte nicht angeklopft, sondern das Schloss aufgebrochen und das Zimmer betreten.
Der Mörder seiner Frau lag schlafend im Bett. Er hatte sich ausgemalt, den Kerl zu foltern, und war nahe daran gewesen, diesem Verlangen nachzugeben, hatte dann aber beschlossen, die Sache schnell zu Ende zu bringen. Er wollte reinen Tisch machen und dafür sorgen, dass diese Bestie keinem Menschen mehr Schmerz und Leid zufügen konnte.
Er jagte dem Mörder zwei Kugeln in den Hinterkopf.
Dann rief er die Polizei an, setzte sich auf einen Stuhl und wartete auf das Eintreffen der Beamten. Anfangs hatte er noch daran gedacht, zu fliehen oder seine Tat zu vertuschen, war aber zu der Ansicht gelangt, dass auch über ihn gerichtet werden sollte.
Das Bild der Zellentür, die sich krachend vor ihm schloss, ging ihm nicht aus dem Kopf. Er hatte sich in sein Schicksal ergeben und war bereit, seine Strafe auf sich zu nehmen. Er hatte sogar beschlossen, sein Recht auf einen Anwalt nicht in Anspruch zu nehmen und sich schuldig zu bekennen.
Aber das Schicksal hatte andere Pläne mit ihm gehabt.
Binnen achtundvierzig Stunden war er wieder auf freiem Fuß gewesen und hatte eine Aufgabe erhalten, die ihn bis heute beschäftigte.
26.
Allen und Loren Brubaker hatten zwei Kinder: den neunzehnjährigen Charlie und die zwei Jahre jüngere Amy, brünett und blauäugig, eine echte Highschool-Schönheit.
Als Charlie hörte, worum es ging, schüttelte er entschieden den Kopf. »Was redest du denn da, Dad? Wir haben kurz vor Mitternacht, und du weckst uns wegen so einer verrückten Verschwörungstheorie. Weshalb glaubst du, das hinter allem ein Komplott steckt?«
Allen blickte
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