Ich bin die Nacht
wurde zu einem Fluss aus Blut. Der Bürgersteig riss auf und zerbarst, als würde ein gigantisches Ungeheuer aus der Tiefe hervorbrechen. Die gesamte Landschaft schien zu leben und nur das Ziel zu haben, ihn zu verschlingen.
Wieder lockte der Schrei ihn in eine Gasse, die aussah wie ein Tor in eine unbekannte Dimension.
Er hatte es schon einmal erlebt. Jetzt erinnerte er sich. Nichts davon war real. Nichts geschah wirklich. Es war wie eine Wiederholung der Vergangenheit. Doch diesmal nahm die Szenerie, in der die Ereignisse stattgefunden hatten, die düsteren Merkmale der Geschehnisse selbst an.
Noch immer im Traum gefangen, mobilisierte Marcus alle Kraft, die ihm geblieben war, und stieß einen Schrei aus, der ihn aus der Trance des Schlafes riss.
Er erwachte mit pochendem Schädel, Prellungen und Platzwunden. Einen Augenblick lang wusste er nicht, wo er sich befand und was geschehen war.
Dann stürzte alles auf ihn ein.
Der Streifenwagen … die Flucht vor dem Sheriff … der Unfall …
Er war auf der Flucht vor einer Verschwörung, die er nicht ausloten konnte. Der Arm ihrer Akteure reichte weit. Marcus wusste nicht, wem er vertrauen konnte oder was er als Nächstes tun sollte. Er wusste nur, dass er in Bewegung bleiben musste. Er musste einen sicheren Ort finden, und das schnell.
Unsicher stemmte er sich auf die Knie hoch und ließ den Blick in die Runde schweifen. Er lag zwei, drei Meter neben dem Wrack des Streifenwagens. Offenbar war er aus dem Fahrzeug geschleudert worden. Dicht neben ihm lag der Trooper. Marcus fühlte nach dem Puls des Mannes und stellte fest, dass er schwach, aber regelmäßig schlug. Er nahm dem Bewusstlosen die Handschellenschlüssel ab, befreite sich und zerschlug das Funkgerät des Streifenwagens. Als er den Trooper durchsuchte, fand er ein Mobiltelefon in dessen Tasche. Er versuchte es einzuschalten, doch der Akku war leer. Marcus zerstörte auch das Handy.
Er raffte sich auf, verließ die Unfallstelle und ging auf ein Farmhaus zu, das ungefähr eine Meile entfernt auf einem Hügel an der Straße stand. Eine Laterne vor dem Gebäude erhellte die Nacht wie eine Leuchtboje.
Vielleicht konnte er sich dort ein Fahrzeug beschaffen.
Er hatte nur einen Wunsch: Sich so weit wie möglich von Asherton zu entfernen.
***
Während Marcus davonging und mit der Dunkelheit verschmolz, beobachtete der Trooper, wie sein ehemaliger Gefangener die Unfallstelle hinter sich ließ. Stöhnend holte er ein zweites Handy hervor, das im Wrack des Streifenwagens unter dem Fahrersitz befestigt war, wählte eine Nummer und hielt sich den schmerzenden Kopf.
»Sir?«, sagte er. »Hier Michaels. Ich schaffe es nicht zum Treffen. Er hat die Seitenscheibe rausgetreten und einen Unfall verursacht. Totalschaden. Es tut mir leid.«
»Kein Problem, Michaels. Wir reden später darüber. Haben Sie das Paket noch?«
»Negativ, Sir. Das Paket ist unterwegs. Ich bin mir nicht sicher, in welche Richtung. Ich weiß nicht genau, wo wir sind.«
»Keine Sorge, Michaels. Ich weiß, wo er ist. Wir mussten ein wenig improvisieren, aber alles läuft nach Plan. Wir halten uns bereit.«
21.
Als Alice bewusstlos am Boden lag, sah Ackerman nach den Kindern. Dann hob er den Hörer des Telefons neben Alice’ Bett ab. Die Nummer, die er wählte, kannte er auswendig.
»Hier Father Joseph«, sagte eine angenehme Stimme.
»Vergib mir, Father, denn ich habe gesündigt.«
»Francis! Was hast du getan?«
Ackerman setzte sich auf die Bettkante. »Heute Nacht habe ich wieder vom dunklen Mann geträumt. Ich …«
»Bitte, Francis«, fiel der Priester ihm verzweifelt ins Wort, »stell dich der Polizei. Ich flehe dich an. Es muss ein Ende haben.«
Ackerman schwieg einen Augenblick. Dann fuhr er fort: »Wie ich bereits sagte, ehe Sie mich so unhöflich unterbrochen haben, hat mich heute Nacht der dunkle Mann wieder besucht. Ein Mann, dessen Gesicht stets im Schatten liegt. Ein Mann, der im Licht geht, ohne dass das Licht ihn je zu berühren scheint. Ich hielt ihn zuerst für Luzifer, für den leibhaftigen Satan, dann für meinen Vater. Aber ich glaube, jetzt weiß ich es besser. Soll ich Ihnen sagen, wer der dunkle Mann ist?«
»Francis, hör mir zu, du …«
»Der dunkle Mann ist das, wozu ich mich entwickle, Father, verstehen Sie? Ich werde er sein, wenn die Verwandlung zu Ende ist.«
»Was hast du getan, Francis?«
Er ließ die Trommel des Revolvers kreisen, den er Alice abgenommen hatte. »Ich habe mir eine Familie
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