Ich bin die Nacht
leer stehende Schulgebäude. Inzwischen hatte der Himmel sich verdüstert, und es war beinahe unerträglich schwül geworden. Dumpf grollte Donner in der Ferne.
Marcus ließ den Blick schweifen. Das Innere des Schulgebäudes war verkommen. Spinnweben hingen in den Ecken, in denen sich Müllberge türmten. Lichtfinger erhellten den Flur, wenn ein Blitz zuckte und die Welt vor den Fenstern grell erleuchtete. Jeder Blitz schien bedrohliche Gestalten aus dem Dunkeln zu reißen, aber Marcus wusste, dass es sich nur um ein Spiel von Licht und Schatten handelte. Doch dieser Gedanke beruhigte ihn kaum. Er wusste nur zu gut, dass irgendwo in diesem Gebäude eine Bestie auf ihn lauerte, die sich als tödlich erweisen konnte.
Obwohl er schon seit einer Ewigkeit, wie es ihm schien, nicht mehr geschlafen hatte, war sein Verstand geschärft, und seine Sinne nahmen das leiseste Geräusch, die geringste Bewegung wahr.
Am Ende des Korridors erreichte Marcus ein Treppenhaus, das ins zweite Obergeschoss und hinunter in den Keller führte. Mit vorgehaltener Waffe schaute er nach oben und nach unten. Keine Spur von Ackerman, doch Marcus spürte die Präsenz des Killers wie einen eisigen Hauch.
Er beschloss, sich zuerst oben im Gebäude umzuschauen, und stieg die Treppe hinauf. Die Stufen knarrten unter seinem Gewicht.
Plötzlich hörte er ein leises Geräusch von oben. Er blickte gerade rechtzeitig hoch, um zu sehen, wie etwas Großes, Dunkles auf ihn zustürzte.
Hastig wich er an die Wand des Treppenhauses zurück. Einen Lidschlag später schlug der Körper dumpf auf dem Absatz auf.
Langsam trat Marcus vor und schaute nach oben, entdeckte aber niemanden. Dann blickte er auf den Körper, der in einer Blutlache vor ihm lag.
Es war Chief Deputy Lewis Foster.
Sein Leichnam war schrecklich zugerichtet. Er war nackt bis zur Taille. Im Unterleib klaffte ein tiefer Schnitt. Das Gesicht war von Schlägen entstellt. In Fosters gebrochenen Augen spiegelte sich noch immer das Grauen, das er in den letzten Sekunden seines Lebens empfunden hatte.
Marcus schauderte. Egal, wer dieser Mann gewesen war – Feind oder nicht – und was er getan hatte, niemand verdiente einen solchen Tod.
Doch.
Einen gab es.
Francis Ackerman.
Er musste dafür sorgen, dass nie mehr ein Mensch von der Hand dieses Verrückten starb.
In diesem Moment hallte von irgendwo über ihm eine Stimme durchs Treppenhaus. »Komm rauf, Marcus. Lass uns ein Spiel machen.«
Marcus hob den Blick, spähte ins Dämmerlicht, das immer wieder vom flackernden Licht der Blitze erhellt wurde, entdeckte aber keine Spur von dem Killer.
Geduckt eilte er die Stufen hinauf, die Waffe im Anschlag.
Und dann sah er ihn.
Als Marcus den nächsten Treppenabsatz erreichte, stand Ackerman mitten im Flur, die Arme zu den Seiten ausgestreckt. In der rechten Hand hielt er irgendeinen Gegenstand, der aussah wie eine Zigarettenschachtel, doch Marcus war zu weit entfernt, um erkennen zu können, was es war.
Ihre Blicke trafen sich. In Ackermans Augen loderte der Wahnsinn, während aus Marcus’ Blick Entschlossenheit sprach.
»Ich habe auf dich gewartet«, sagte Ackerman. »Ich habe sehr lange auf dich gewartet.«
45.
»Keine Bewegung«, sagte Marcus. Seine Stimme war gelassen, seine Hand ruhig.
Inzwischen tobte draußen das Gewitter mit voller Kraft. Donner krachte, und der wolkenbruchartige Regen trommelte gegen die Fenster und rauschte auf das Dach der leer stehenden Schule. Windböen peitschten die Nässe ins Innere des Gebäudes.
In der Vergangenheit hatte Marcus das Geräusch von Regen als beruhigend empfunden, doch nun hörte es sich für ihn so an, als würden tausend Dämonen miteinander flüstern. Das flackernde Licht der Blitze riss Ackermans Gestalt immer wieder gespenstisch aus dem Halbdunkel. Der Killer rührte sich nicht, stand einfach nur da.
Marcus bewegte sich langsam vor.
»Komm nicht näher, oder das Mädchen stirbt.«
Das Mädchen?
Maggie?
Unsicherheit erfasste Marcus. »Wo ist sie?«
»Sie ist in Sicherheit. Noch. Sie ist mit einem Sprengsatz verdrahtet, weißt du? Hier, sieh her. In meiner rechten Hand halte ich den Fernzünder. Ich halte ihr Leben im wahrsten Sinne des Wortes in der Hand, was wirklich sehr faszinierend ist. Durch einen schlichten Knopfdruck könnte ich ihr Leben mit der gleichen Leichtigkeit beenden, mit der ich einen Wurm zertrete. So zerbrechlich ist der Faden, der uns zusammenhält, nicht wahr? Alles huscht umher wie die Kakerlaken und führt
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