Ich bin die Nacht
bin die Finsternis, die dunkle Seite. Mir war vorherbestimmt, der zu werden, der ich jetzt bin. Wie definiert man ohne das Böse das Gute? Wie soll man ohne Dunkelheit das Licht erkennen? Ohne einen Widersacher kann es keinen Helden geben, ohne einen Wolf keinen guten Hirten. Als ich dir begegnet bin, wusste ich sofort: Du bist meine Bestimmung.« In Ackermans Augen glänzte Leidenschaft, ja Fanatismus. »Leute wie ich lassen gewöhnliche Menschen wie dich begreifen, dass sie zu außerordentlichen Taten fähig sind. Ich will, dass du dein Ziel erkennst, Marcus. Wir sind die beiden Seiten derselben Münze. Verstehst du?«
»Wie soll ich einen Irren wie dich verstehen?«, höhnte Marcus. »Aber wenn du alles so gut durchdacht hast, kannst du mir sicher verraten, wie es zu Ende geht.«
Ackerman lachte leise. »Du bringst mich um, was sonst? Schließlich bist du der Held. Das Gute siegt doch immer, oder nicht?«
»Im Film vielleicht. Aber das hier ist kein Film, sondern die Wirklichkeit.«
»Da irrst du dich. Das Licht kann in die Dunkelheit scheinen, aber die Dunkelheit nicht ins Licht. Am Ende triumphiert das Gute.«
»Wenn das stimmt«, sagte Marcus, »sieht es ziemlich beschissen für dich aus. Es heißt, in dieser Jahreszeit ist es sehr heiß in der Hölle.«
Wieder lachte Ackerman auf. »Vielleicht werde ich es bald erfahren. Ich habe nur noch eine Frage. Es gibt da eine Sache, die mich neugierig gemacht hat. Ich habe aus dem Munde des Sheriffs gehört, dass du Cop in New York gewesen bist. Warum bist du kein Polizist mehr?«
Marcus schwieg.
Ackerman legte die freie Hand um Maggies Hals und drückte ihr den Kehlkopf zusammen. Ihr hoher Schrei riss ab.
»Ich habe dir eine Frage gestellt!«, brüllte Ackerman.
»Ich bin kein Cop mehr, weil ich jemanden ermordet habe«, sagte Marcus.
Er sah, wie Maggie die Augen aufriss und ihn entsetzt anblickte. Er hätte es ihr gern erklärt, aber seine Vergangenheit konnte er dadurch nicht ändern. Er konnte nur hoffen, dass sie ihm vergeben wurde.
Ackerman löste den Griff um Maggies Hals und grinste Marcus an. »Sieh mal einer an«, sagte er. »Unser Held hat eine schmutzige Weste.« Irgendwie schien er die Antwort gekannt zu haben, ehe er seine Frage gestellt hatte. »Wie dem auch sei«, fuhr er fort. »Eine der wenigen Lektionen meines Vaters, die mir wirklich etwas gebracht hat, lautete: Führe immer zu Ende, was du anfängst. Ich werde jetzt gehen. Vergiss nicht, dass du nur zu denken brauchst wie mein Vater, dann weißt du, wo du mich findest.«
Marcus trat einen Schritt vor. »Du gehst nirgendwohin.«
»Ach nein?« Ackerman grinste. »Wenn wir uns das nächste Mal begegnen, musst du dich schon ein bisschen mehr anstrengen. Die Zeit der Spielchen ist vorüber.«
Ohne Vorwarnung schleuderte er Maggie übers Geländer.
Marcus beobachtete das Geschehen in hilflosem Entsetzen.
Ackerman riss an dem schwarzen Nylonseil, das um Maggies Fußgelenk geschlungen war, und benutzte das Geländer als Umlenkrolle, um das Seil zu spannen und Maggie an Ort und Stelle zu halten. Mit der anderen Hand richtete er die Pistole auf Marcus und hinderte ihn daran, weiter vorzudringen. Ein paar Fuß unter ihnen baumelte Maggie mit dem Kopf nach unten.
Marcus zielte zwischen die Augen des Killers, durfte aber nicht abdrücken. Wenn er Ackerman erschoss, würde der Irre das Seil loslassen, und Maggie stürzte in den Tod.
»Wirf die Pistole über das Geländer«, befahl Ackerman. »Na los, wird’s bald!«
Marcus zögerte, suchte fieberhaft nach einem Ausweg.
»Was ist? Ich warte!« Ackerman ließ ein Stück Seil nach. Wieder stürzte Maggie mehrere Fuß in die Tiefe, ehe der Killer ihren Fall bremste.
»Hör auf!«, rief Marcus und warf seine Waffe in die Dunkelheit.
Ackerman grinste. »Braver Junge.«
Mit diesen Worten ließ er das Seil los und sprang von der Plattform der Feuertreppe auf das Dach des Schulgebäudes.
Kopfüber stürzte Maggie in den sicheren Tod.
Marcus sprang vor. Ackerman war für den Moment vergessen – er dachte nur an Maggies Rettung. Er packte das Ende des Seils, als es surrend über das Geländer glitt.
Das plötzliche Gewicht kugelte ihm beinahe die Schultern aus, und die Fasern des Seils schnitten ihm ins Fleisch, als es zwischen seinen Handflächen hindurchglitt. Doch Marcus hielt es eisern fest.
Unter ihm schwang Maggie wie ein Pendel hin und her.
Hand über Hand zog er sie zu sich auf die Plattform. Maggie klammerte sich schluchzend an ihn,
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