Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern
Boule zu spielen, da hüpfte sie bei uns im Hof umher und gab ihrem Rabenkind krächzende Anweisungen, die ich in etwa so übersetzen würde: Also, mein Kind, die Nesthockerei hat jetzt ein Ende. Du musst raus in die Welt und selbstständig werden. Ja klar, ich bleibe in der Nähe: Ich bringe dir ein paar Würmer zur Stärkung. Und wenn dieses kleine
freche Mädchen da mit der Boulekugel, diese Jette, dich ärgert, dann zwick ich sie ins Bein. Aber das Fliegen, das musst du alleine schaffen!
Ganz ehrlich: Ich finde diesen pädagogischen Ansatz wunderbar: lange Leine, klare Ansagen, Hilfe zur Selbsthilfe – und fürsorglicher Schutz, wenn’s hart auf hart kommt. Das Rabenkind konnte übrigens zwei Tage später fliegen und saß krächzend auf dem Dach über Jettes Fenster. Die Rabenmutter saß in unserer Hoflinde, und ich glaube, sie war sehr stolz.
Fassen wir zusammen: Rabenmütter sind keine Glucken – aber sie nehmen ihren Erziehungsauftrag sehr ernst. Und deshalb bin ich gern eine Rabenmutter! Sowieso frage ich mich, was die Alternative wäre: Ich meine, wenn ich keine Rabenmutter wäre, dann bliebe ich zu Hause – und kriegte vielleicht eine Herdprämie . Und natürlich ist die Herdprämie nicht die Prämie, die einem der Ofen zahlt, wenn man ihn mal wieder ordentlich schrubbt. Nein, es ist der Hungerlohn, den Mütter kriegen sollen, wenn sie den Arbeitsmarkt nicht mit ihren exotischen Arbeitszeitwünschen belasten, sondern ihr minderjähriges Humankapital rund um die Uhr selber hüten.
Kurz: Die Herdprämie ist eine Beleidigung für alle, die das tun, was früher die Heimchen taten. Und deshalb wurde die Herdprämie auch prämiert genauso wie das Humankapital: Sie waren »Unwörter des Jahres«.
Statt der Herdprämie hätte man übrigens auch das Wickelvolontariat wählen können. Männer, die für
ihre Babys länger zu Hause bleiben, werden nämlich fast so verspottet wie Heimchen mit Herdprämie – jedenfalls von Herrn Ramsauer aus der CSU. Wieso, frage ich mich, können die nicht sachlich sein, wenn sie über uns reden: Es gibt Mütter, die ihren Job lieben, es gibt Väter, die ihre Kinder lieben. Und es gibt Eltern, die beide beides lieben! Und damit sie es nicht nur lieben können, sondern auch leben, brauchen sie klare Ansagen und keine polemischen Debatten. Punkt.
PS: Ach ja, ich habe übrigens recherchiert, was aus dem Karnickelpass geworden ist: Er wurde 1999 abgeschafft. Zum Geldsparen gibt es jetzt diverse andere Zusatzkarten. Was die günstigste Variante ist? Um das zu durchschauen, muss man auf jeden Fall schlauer sein als ein schnödes Karnickel. Ich empfehle eine solide Ausbildung: zuerst die frühkindliche Bildungsstätte, dann ein G8 und schließlich das Wickelvolontariat!
Mein Leben im Quadrat
Familienmenschen brauchen Verhandlungsgeschick und gute Kenntnisse in Geometrie. Es ist nämlich viel einfacher, zu zweit auf einer Linie zu sein, als zu viert nicht im Dreieck zu springen!
Heute fiel es mir plötzlich wieder ein: In meinem ersten Leben konnte ich machen, was ich wollte. Ich konnte selbstständig bestimmen, wann ich samstags aufstehe. Wie viele Knoten mein Föhnkabel haben darf. Oder was vor dem Pieps auf meinen Anrufbeantworter los ist. Kein Mensch hat mir reingeredet. Denn ich war Single und kinderlos. Ein kleiner Punkt im großen Universum.
Dann begann mein zweites Leben als Familienmensch. Familienmenschen leben in komplizierten Beziehungsgefügen, die sich nicht nur laufend verändern. Sondern in denen auch alle voneinander abhängen. Es ist wie bei dem Tier-Mobile, das jahrelang über Jettes Kinderbett baumelte: Stupste man links den Tiger an,
wackelten auch rechts der Elefant und oben die Biene und unten das Kätzchen.
Seit ich ein Familienmensch bin, geht es mir so ähnlich wie den Mobile-Tieren. Oft muss ich mich bewegen, obwohl ich gar nicht will. Manchmal ist es auch andersrum. Auf jeden Fall werde ich fremdbestimmt. Nehmen wir etwa die Gestaltung der gemeinsamen Mahlzeiten: Ich esse gerne griechischen Salat. Meine Familie nicht, was ungefähr so klingt: Jette: »Iih, Schafskäse!« Ich: »Also Salat ohne Schafskäse und bloß mit Oliven?« Jochen: »Da wird ja kein Mensch satt.« Ich: »Na gut, dann eben Putenstreifen statt Schafskäse.« Clara: »Ich will Gelbwurst!« Nein, Familienmenschen haben es nicht leicht. Denn vier Köpfe bedeuten vier Meinungen. Ständig muss man verhandeln, ständig muss man Kompromisse machen. Ständig muss man Bedürfnisse unter
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